Das Labyrinth
konnte!
»Könnt ihr mir sagen«, hatte der Hauptmann gefragt, »wie dieser Verbrecher die Mäntel fortgeschafft hat, ohne Verdacht zu erregen? Denkt nach, bevor ihr antwortet.« Zehn leere Gesichter starrten ihn an. »Er zog sie an.« Der Hauptmann blickte jedem in die Augen, um sicherzustellen, daß alle begriffen hatten, mit welchem Scharfsinn und Raffinement der Kriminelle vorgegangen war. »Er trug sie.«
Andere Bilder setzten die Verbrechensgeschichte in der Sowjetunion fort. Nicht sehr subtil, dachte Arkadi. Siehe die Fotos von hingemetzelten Kindern, siehe die Axt, siehe das Haar auf der Axt. Eine Darstellung ausgegrabener Leichen, ein Mörder mit einem durch lebenslangen Wodkakonsum halb weggefressenem Gesicht, eine weitere sorgfältig bewahrte Axt.
Zwei Szenen vor allem waren geeignet, im Betrachter schieres Entsetzen aufsteigen zu lassen. Die eine war die eines Bankräubers, der zu seiner Flucht Lenins Wagen benutzte - eine ungeheure Blasphemie! Die andere zeigte einen Terroristen mit einer selbstgemachten Rakete, die Stalin um ein Haar verfehlt hatte. Wo liegt das Verbrechen, dachte Arkadi: im Versuch, Stalin zu töten, oder darin, ihn verfehlt zu haben?
»Verlieren Sie sich nicht in der Vergangenheit«, sagte Rodionow, als er eintrat. Der Oberstaatsanwalt begleitet seine Warnung mit einem Lächeln. »Wir sind die Menschen der Zukunft, Renko. Wir alle, von jetzt an.«
Der Oberstaatsanwalt war Arkadis Vorgesetzter, das allgegenwärtige Auge der Moskauer Gerichte, die lenkende Hand der Moskauer Ermittler. Überdies war Rodionow ein gewähltes Mitglied des Volkskongresses, das breitbrüstige Totem sowjetischer Demokratisierung auf allen Ebenen. Er hatte die Gestalt eines Bauarbeiters, die silberne Mähne eines Schauspielers und die weichen Hände eines Apparatschiks. Vor einigen Jahren noch war er nur einer der zahllosen ungehobelten Bürokraten gewesen, jetzt besaß er jene besondere Anmut, wie sie durch Auftritte vor der Kamera erworben wird, und eine durch höfliche Debatten geschulte Stimme. Als mache er zwei liebe Freunde miteinander bekannt, stellte er Arkadi General Penjagin vor, einen größeren, älteren Mann mit tiefliegenden, phlegmatischen Augen, der ein schwarzes Kreppband am Ärmel seiner blauen Sommeruniform trug. Der Chef des Kriminalamts war vor wenigen Tagen gestorben und Penjagin war zum Leiter aufgestiegen, aber obgleich er zwei Sterne auf seiner Achselklappe trug, war er offensichtlich nur der neue Bär im Zirkus, der seine Anweisungen von Rodionow empfing. Der zweite Begleiter des Oberstaatsanwalts war aus völlig anderem Holz geschnitzt, ein unbeschwert wirkender Mann, der eher einem Amerikaner als einem Russen glich.
Rodionow wandte sich mit leichter Verachtung von den Schaukästen ab und sagte zu Arkadi: »Penjagin und ich haben den Auftrag, das Archiv des Ministeriums auf den neuesten Stand zu bringen. Der ganze Plunder wandert auf den Müllhaufen und wird durch Computer ersetzt. Wir haben uns Interpol angeschlossen, da die Kriminellen immer grenzüberschreitender arbeiten. Wir müssen mit Phantasie vorgehen, kooperativ, ohne ideologische Scheuklappen. Stellen Sie sich vor, daß unsere Computer hier mit New York, Bonn und Tokio zusammenschaltbar werden. Sowjetische Vertreter nehmen bereits aktiv an Ermittlungen im Ausland teil.«
»Dann wird uns niemand mehr entkommen«, sagte Arkadi.
»Sie stehen den Aussichten nicht positiv gegenüber?« fragte Penjagin.
Arkadi wollte nicht ungefällig erscheinen. Immerhin hatte er einmal einen Oberstaatsanwalt niedergeschossen, eine Tatsache, die seine Lage etwas heikel machte. Aber war er von den Aussichten begeistert? Die Welt in einer einzigen Kiste?
»Sie haben doch schon früher mit den Amerikanern zusammengearbeitet«, erinnerte ihn Rodionow. »Wofür Sie teuer bezahlt haben. Wir alle haben dafür zahlen müssen. Das ist so, wenn man einen Fehler macht. Das Amt mußte während der kritischen Jahre auf Ihre Dienste verzichten. Ihre Rückkehr zu uns ist Teil eines Gesundungsprozesses, auf den wir alle stolz sind. Da dies Penjagins erster Tag bei uns ist, wollte ich ihm einen unserer Ermittler für nicht gerade alltägliche Fälle vorstellen.«
»Ich habe gehört, daß Sie gewisse Bedingungen an Ihre Rückkehr nach Moskau geknüpft haben«, sagte Penjagin, »und daß man Ihnen gleich zwei Wagen zugeteilt hat.«
Arkadi nickte. »Mit zehn Litern Benzin. Das reicht für eine kurze Verfolgung.«
»Ihre eigenen Inspektoren, Ihre eigene
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