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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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murmelte Stas. »Er wird zurückgehen. Die Hälfte der Leute hier wird zurückgehen nach Tiflis, Moskau oder Leningrad. Das Verrückte ist, daß wir es besser wissen müßten. Wir sind es, die die Wahrheit sagen. Aber wir sind auch Russen und lieben die Lüge. Gerade im Moment scheinen wir besonders verwirrt. Zum Beispiel hatten wir bis vor kurzem noch einen Mann als Leiter der russischen Abteilung hier, der äußerst kompetent und intelligent war. Er hatte sich, genau wie ich, vor langer Zeit schon in den Westen abgesetzt. Vor etwa zehn Monaten dann ist er zurück nach Moskau gegangen. Nicht nur zu Besuch, für immer. Und einen Monat später erscheint er als Fürsprecher Moskaus im amerikanischen Fernsehen, spricht davon, wie lebendig die Demokratie daheim sei, daß die Partei ein Freund der Marktwirtschaft und der KGB ein Garant der gesellschaftlichen Stabilität ist. Ein guter Mann, kein Wunder, er hat schließlich hier gelernt. Er vertritt seine Sache so glaubhaft, daß die Leute im Sender sich langsam zu fragen beginnen: Dient unsere Arbeit eigentlich noch jemandem, oder sind wir längst zu Fossilen des Kalten Krieges geworden? Warum gehen wir nicht alle zurück nach Moskau?«
    »Glauben Sie ihm?« fragte Arkadi.
    »Nein. Ich brauche mir nur einen Mann wie Sie anzuschauen und mich zu fragen: »Warum läuft er vor sich davon?<«
    Arkadi ließ die Frage unbeantwortet. Er sagte: »Ich dachte, ich würde Irina sehen.«
     
    Stas wies auf die brennende rote Lampe über der Tür und schob Arkadi in den Regieraum. Ein Toningenieur mit Kopfhörern saß vor einem schwach erleuchteten Pult, sonst war der Raum dunkel und still. Arkadi setzte sich unter den rotierenden Spulen eines Aufnahmegeräts an die Rückwand. Nadeln tanzten auf den Anzeigen.
    Auf der anderen Seite der schalldichten Glasscheibe saß Irina an einem gepolsterten, sechseckigen Tisch mit einem Mikrofon. Ihr gegenüber saß ein Mann in einem schwarzen Pullover, wie manche Intellektuelle ihn zu tragen pflegen. Speichel sprühte von seinen Lippen wie Schweiß von der Stirn eines Heizers. Er scherzte und lachte über seine eigenen Witze. Arkadi fragte sich, was er sagen mochte.
    Irina hatte den Kopf leicht auf die Seite gelegt, ganz in der Pose des guten Zuhörers. Ihre im Schatten liegenden Augen spiegelten schwache Lichtreflexe wider. Die Lippen waren zur Andeutung eines Lächelns geöffnet, ohne es tatsächlich soweit kommen zu lassen.
    Die Beleuchtung war für den Mann nicht unbedingt schmeichelhaft. Seine Stirn wirkte verkrampft, und die Brauen standen wie Hecken über den Augenhöhlen. Über Irinas gleichmäßige Züge dagegen schien das Licht zu fließen und die goldene Korona ihrer Wangen nachzuzeichnen, die ins Gesicht fallenden Haarsträhnen, ihren Arm. Arkadi erinnerte sich an die schwache, blaue Linie, die sich unter ihrem rechten Auge abgezeichnet hatte - das Ergebnis eines Verhörs. Sie war verschwunden, das Gesicht makellos. Ein Aschenbecher und je ein Glas Wasser standen vor ihr und ihrem Gesprächspartner auf dem Tisch.
    Sie sagte ein paar Worte, und es war, als ob sie in glühende Kohle geblasen hätte. Der Mann wurde noch erregter und schwang seine Hände wie eine Axt.
    Stas lehnte sich über das Pult und drehte den Ton an.
    »Das ist genau das, was ich sagen will«, rief der Mann im Pullover. »Die Nachrichtendienste zeichnen stets nur das psychologische Profil der nationalen Führer. Es ist viel wichtiger, die Psychologie der Menschen selbst zu verstehen. Das ist immer schon das eigentliche Gebiet der Psychologie gewesen.«
    »Können Sie uns ein Beispiel dafür geben?« fragte Irina.
    »Gern. Der Vater der russischen Psychologie war Pawlow, bekannt durch seine Experimente zur Erforschung der bedingten Reflexe, vor allem durch seine Arbeit mit Hunden, die er daran gewöhnte, ihre Mahlzeiten mit dem Läuten einer Glocke zu assoziieren. So begannen sie nach einer gewissen Zeit, schon beim Klang einer Glocke Speichel abzusondern.«
    »Was haben Hunde mit Völkerpsychologie zu tun?«
    »Eine ganze Menge. Wie Pawlow berichtet, gab es einige Hunde, die dem allgemeinen Schema einfach nicht folgen wollten. Sie ließen sich absolut nicht trainieren. Er nannte sie >atavistisch<, Rückfälle in die Natur ihrer wölfischen Vorfahren. Sie waren für seine Experimente ohne Wert.«
    »Sie sprechen immer noch von Hunden.«
    »Warten Sie. Dann ging Pawlow einen Schritt weiter. Er nannte diesen >atavistischen< Zug einen >Freiheitsreflex< und behauptete,

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