Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
Vom Netzwerk:
beschimpft. Ihn hat er auch beschimpft. Aber niemals, niemals hätte mein Mann ihn umgebracht! Ich kenne ihn doch. Er ist verrückt, ein kompletter Irrer, aber er ist nicht schlecht. Und er liebt mich. Niemals hätte er so etwas getan.«
    »Du liebst ihn wohl sehr?«, fragte Katja.
    »Wahnsinnig.« Egle fasste sie am Arm. »Ich schreibe ihm sogar Gedichte, kannst du dir das vorstellen? So was ist mir noch nie passiert. Wenn er verurteilt wird und ins Gefängnis kommt, was wird dann aus mir? Dann kann ich mich nur noch aus dem Fenster stürzen. Oder von der Brücke springen.«
    »Das schlag dir aus dem Kopf, hörst du? Deinem Freund wird nichts passieren. Sie werden ihn eine Weile festhalten und dann freilassen«, erklärte Katja überzeugt. »Und komm ja nicht auf solche Gedanken . . . Sag mir lieber, was für Gedichte schreibst du ihm? Über die Liebe?«
    »Über alles. Was für ein Mensch er ist. Willst du mal eins hören?«
    »Gern«, nickte Katja.
    »Warte, lass mich überlegen.« Egle holte tief Luft. »Das habe ich erst vor kurzem geschrieben:
    Schön und schlank ist der Bergbewohner,
    Dunkeläugig und sonnverbrannt.
    Eine schwarze Perle in reichem Geschmeide,
    Ein Brillant unter edlen Rubinen.
    Ein goldner Adler des Himmels Im Schwarme verschreckter Krähen.
    Dort reitet er seines Wegs:
    Ein Pferd, so leicht wie der Wind,
    Und ein gemeißelter Schatten.
    Mit Salomos Siegel ist sein Bild Meinem Herzen auf ewig eingeprägt.
    Wie könnte ich je ihn vergessen?«
    Das müsste Nikita jetzt hören, dachte Katja, wie diese zarte, zerbrechliche, kleine Blondine den in U-Haft sitzenden Aligarch einen »Brillanten« und »goldenen Adler des Himmels« nennt. Wie viele unterschiedliche Worte es doch für ein und denselben Menschen gab! Für Kolossow war er ein Tatverdächtiger. Für die verliebte Egle eine »schwarze Perle«.
    »Aber jetzt«, Egle schluchzte, »bin ich niemand. Ein Nichts. Früher habe ich Ballettunterricht genommen, habe als Tänzerin gearbeitet. Auch hier in dieser Bar. Aber das ist vorbei.« »Und was machst du jetzt?«
    »Nichts, ich lebe einfach. Geld habe ich überhaupt keins mehr. Georgi hat auch nichts, und dann spielt er noch. Wenn er gewinnt, können wir essen und trinken und Klamotten kaufen. Wenn er verliert, und das ist fast immer . . . Na, dann bleibt uns nur, andere Leute anzubetteln.«
    »Anzubetteln? Wie meinst du das?«
    Egle seufzte bitter auf.
    »Sehr einfach. Ich kenne da einen Menschen. Er ist gut. Sehr gut. Älter als ich. Und unglücklich. Er hilft mir immer, wenn ich in Schwierigkeiten bin. Immer. Im Grunde ist es eine Art Almosen, aber . . . was soll ich tun? Ich muss leben. Wie hast du dich vorhin ausgedrückt – verlassen kannst du ihn nicht. . .«
    »Und ertragen auch nicht«, ergänzte Katja. »Das ist wahr.«
    Sie hätte zu gern gefragt: Wer ist dieser Mensch, der dir hilft? Doch nicht etwa Saljutow? Aber in diesem Moment fiel ein Schatten auf den Tisch. Katja hob den Kopf – zwei unbekannte junge Männer. Der eine groß und kräftig, mit recht angenehmem Äußeren, wäre da nicht seine eingeschlagene Nase gewesen. Der andere etwas kleiner, mager, blass und dem Aussehen nach erheblich jünger. Der Größere trug eine Motorradjacke mit Nieten, sein Begleiter einen teuren braunen Alpakamantel mit gewaltigem Pelzkragen, der an seiner schmächtigen Gestalt wie der Gehrock seines Urgroßvaters wirkte.
    »Hallo«, sagte der Große, »hier steckst du also. Du hast schon Nerven, Egle. Wer ist das – eine Freundin von dir?«
    »Philipp . . . Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Egle wandte sich nicht an den Sprecher, sondern an den Jungen im Mantel. Katja begriff, wer die beiden waren.
    »Wenn du kannst, hilf mir . . . Er ist doch unschuldig.«
    »Ich würde dir ja gern helfen, aber was kann ich tun?«, sagte Philipp Saljutow leise.
    Sie blickte ihn eine Weile an, dann machte sie eine resignierte Handbewegung. Beinahe hätte sie dabei noch das Gleichgewicht verloren und wäre gefallen.
    »Wir müssen sie nach Hause bringen«, sagte Philipp zu seinem Begleiter (Katja erinnerte sich, dass Kolossow ihn nur unter dem Spitznamen »Legionär« kannte).
    Der andere beugte sich zu dem Mädchen hinunter: »Komm, Egle, steh auf, du kannst dich auf mich stützen. Ich besorge ihr ein Taxi«, sagte er zu Philipp, »wir können sie hier nicht so hilflos hängen lassen.«
    Philipp nickte und sagte plötzlich zu Katja: »Was glotzt du mich so an, Puppe?«
    »Der Kragen ist zu klein für dich«,

Weitere Kostenlose Bücher