Das Laecheln der Chimaere
ihm anbot. Und da bat er sie, sich auf das Sofa zu setzen, das Sofa hier in der Ecke seines Büros. Er selbst setzte sich neben sie und sprach zu ihr.
Im Grunde hatten seine Worte keine Bedeutung, wichtig war der Ton. Er wusste ihn zu treffen. Er schaute sie an, und in seinem Herzen erwachte mit Macht jenes vergessene und scheinbar längst begrabene Gefühl wieder, das er mit Worten nicht richtig ausdrücken konnte, ein Gefühl, das am ehesten der nicht heilen wollenden Wunde seiner Kindheit ähnelte.
Zwei Wochen später kam Egle noch einmal. Er empfing sie, sie legte ihm fünfhundert Dollar auf den Tisch und sagte, gestern habe Gasarow im »Golizyn« sechshundert Dollar beim Roulette gewonnen. Sie bringe ihm dieses Geld, um seine Schulden zu begleichen. Er nahm das Geld nicht. Stattdessen lud er sie völlig unerwartet zum Essen in ein schickes japanisches Restaurant ein. Anschließend brachte er sie nach Hause in die Mytnaja-Straße.
Danach sahen sie sich mehrmals hier im »Haus«. Er wies Kitajew an, Aligarch in Ruhe zu lassen und ihn nicht wegen seiner Schulden zu bedrängen. Aligarch hatte inzwischen offenbar gemerkt, dass die Angelegenheit geregelt war, und war wieder im »Roten Mohn« aufgetaucht.
Ende November lud er Egle noch einmal zum Essen ein. Es war der dreiundzwanzigste, Marinas Geburtstag. Am Vorabend hatte sein Sohn Igor ihn eingeladen – er hatte zusammen mit Marina eine Party für seine Freunde im »Zeppelin« organisiert. Aber Saljutow lehnte die Einladung ab und erklärte, aus dem Alter, in dem man die halbe Nacht durch Kneipen zieht, sei er heraus. Dann rief Marina an und wollte wissen, wann er käme. Er antwortete auch ihr ausweichend, erfand irgendeine Ausrede . . . Im Grunde genommen hatte er Egle an jenem Abend nicht zuletzt deshalb zum Abendessen eingeladen, um einen Anlass zu haben, nicht zu Sohn und Schwiegertochter fahren zu müssen. Beim Abschied, schon vor ihrem Haus, gab er Egle Geld. Sie nahm es an und sagte: »Vielen, vielen Dank.« Er wusste, dass sie es nicht für sich nahm.
Ein paar Tage später, am siebenundzwanzigsten November, verunglückte Igor. Mit Kitajew zusammen fuhr Saljutow zur Miliz und dann ins Leichenschauhaus, um den Toten zu identifizieren. Morgens um halb fünf kehrten sie in den »Roten Mohn« zurück. Er konnte damals nicht nach Hause fahren. Er konnte es einfach nicht.
Das Kasino war schon geschlossen. Niemand war dort, keine Menschenseele außer . . .
. . . Egle Taurage saß auf einem Stuhl neben der Tür zu seinem Büro. Die Männer des Sicherheitsdienstes sagten, sie habe sich strikt geweigert, nach Hause zu fahren. Sie hatten deshalb sogar Kitajew angerufen, er hatte überlegt und dann gesagt, lasst sie in Ruhe. Aligarch war an jenem Abend nicht im Kasino gewesen. Sie aber saß vor seiner Tür wie ein treuer Hund. Das war ein grober Vergleich für eine junge Frau, aber es war der einzig richtige Ausdruck. Und er erlaubte ihr zu bleiben. Obwohl er in diesem Augenblick eigentlich niemanden sehen wollte. So verbrachte sie den ganzen Vormittag bei ihm. Hier auf dem Sofa hatte sie gesessen. Und ihre Gegenwart hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. . .
Saljutow blickte aus dem Fenster seines Büros auf Egle hinunter. Dieser Typ von der Kripo hatte unbedingt wissen wollen, in welcher Beziehung er zu ihr stünde. Dabei war das doch so einfach zu begreifen. Aber um es zu erklären, dafür fehlten in unserer reichen Sprache die Worte. Zumindest konnte er, Saljutow, nicht die richtigen finden.
Das grelle Licht durchschnitt die Dämmerung wie ein scharfes Rasiermesser. Aus dem Nebelschleier der Schneeflocken tauchte abrupt ein Auto auf. Quietschend fuhr es direkt bis zum Eingang des Kasinos, machte dort eine jähe Kehrtwendung und stoppte für einen Moment. Schüsse krachten, einer, dann ein zweiter, ein dritter. Sie barsten laut knallend in der Luft wie unsichtbare Feuerwerkskörper. Saljutow sah, wie das Auto in Richtung Allee davonraste. Er sah, wie die hohe Leiter unter Gepolter umfiel und die Arbeiter in eine Schneewehe stürzten, er sah den Portier, der ganz kopflos aus dem Kasino herausgerannt kam, die Security-Männer, die, tief im Schnee einsinkend, vom Parkplatz herbeiliefen. Er sah die sich rasch entfernenden roten Rücklichter und . . . er sah sie, Egle, mit dem Gesicht nach unten auf den Stufen zum Kasino liegen.
Weit ausholend und wuchtig schlug er mit der Faust gegen die Fensterscheibe. Das Klirren und Brechen des Glases hörte er nicht,
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