Das Lächeln der Frauen
zur Zeit machen konnte, und ich war mir eigentlich ziemlich sicher,
daß Aurélie Bredin anbeißen würde. Unmoralisch war es vor allem deswegen, weil
die Person, um die es eigentlich ging, am Ende gar nicht zu dem Essen erscheinen
würde. Doch das konnte Mademoiselle Bredin natürlich nicht wissen.
Ich schickte
die Mail mit »sehr herzlichen Grüßen« ab und ging dann entschlossenen Schrittes
zu meinem Schreibtisch, um einen Bogen Büttenpapier und meinen Kugelschreiber
zu holen.
Sie würde kommen
- vor allem, wenn sie den Brief von Robert Miller las, den ich gleich als
nächstes verfassen würde. Ich setzte mich an den Tisch, goß mir ein Glas Wein
ein und nahm einen großen Schluck.
Dear Miss
Bredin schrieb ich in schwungvoller Schrift.
Und dann
schrieb ich lange Zeit nichts. Ich saß vor dem weißen Blatt und wußte mit
einemmal nicht, wie ich anfangen sollte. Meine Formulierungskünste waren wie
abgerissen. Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum und
versuchte an England zu denken.
Was schrieb so
ein Miller, der allein und verlassen in seinem Cottage saß? Und wie sollte er
auf die Fragen reagieren, die Mademoiselle Bredin ihm gestellt hatte? War es
nun ein Zufall, daß die Heldin seines Romans so aussah wie die Verfasserin des
Briefes? War es ein Geheimnis? Konnte er es sich selbst nicht erklären? War es
eine lange Geschichte, die er ihr irgendwann einmal in Ruhe erzählen wollte?
Ich holte
Aurélie Bredins Photo aus meiner Brieftasche, ließ mich von ihr anlächeln und
verlor mich in schönen Phantasien.
Nach einer
Viertelstunde stand ich auf. So hatte das keinen Zweck. »Mr. Miller, Sie sind
nicht sehr diszipliniert«, schimpfte ich.
Es war kurz
nach zehn, die Zigarettenschachtel war leer und ich mußte dringend etwas essen.
Ich zog meinen Mantel an und winkte zu dem Tisch hinüber.
»Ich bin
gleich wieder da, und Sie überlegen sich inzwischen was«, sagte ich. »Lassen
Sie sich was einfallen, Sie Schriftsteller!«
Es regnete immer noch, als ich
die tropfnasse Glastür zum La Palette aufstieß, das um diese Uhrzeit
ziemlich voll war. Ein animiertes Stimmengewirr umfing mich, und im hinteren
Teil des Bistros, der im Halbdunkel lag, war jeder Tisch besetzt.
Bei Künstlern,
Galeristen, Studenten, aber auch Verlagsleuten war das La Palette mit
seinen einfachen blank-gescheuerten Holztischen und den Gemälden an den Wänden
sehr beliebt. Man kam zum Essen oder auch einfach nur auf einen Kaffee oder ein
Glas Wein. Das alte Lokal lag nur einen Katzensprung von meiner Wohnung
entfernt. Ich kam oft hierher und traf fast immer auf ein paar Bekannte.
»Salut,
Andre! Ça va?« Nicolas, einer der Kellner, winkte mir zu. »Sauwetter, was?«
Ich schüttelte
ein paar Regentropfen ab und nickte. »Kann man wohl sagen«, rief ich zurück.
Ich schob mich durch die Menge, stellte mich an die Bar und orderte einen Croque-Monsieur und einen Rotwein.
Das bunte
Treiben um mich herum war auf seltsame Weise wohltuend. Ich trank meinen Wein,
biß ein Stück von dem warmen Toast ab, bestellte noch mehr Wein und ließ meine
Blicke schweifen. Ich spürte, wie die Hektik dieses aufregenden Tages
allmählich von mir abfiel und ich mich entspannte. Manchmal mußte man sich
einfach nur ein paar Schritte von seinem Problem entfernen, dann wurde alles
ganz einfach. Den Robert-Miller-Brief zu schreiben war ein Kinderspiel.
Letztendlich ging es ja nur darum, Aurélie Bredins fixe Idee zu befeuern, bis
es mir gelungen war, mich überzeugend zwischen sie und den Autor zu drängen.
Es mochte
nicht immer von Vorteil sein, in einer Branche zu arbeiten, die ausschließlich
von Worten, Geschichten und Ideen lebte, und es gab Momente in meinem Leben, da
hätte ich gern etwas Greifbareres, Reelleres, Monumentaleres gehabt, etwas, das
man mit den Händen machte - wie ein Holzregal bauen oder eine Brücke, einfach
etwas, das mehr Materie war und weniger Geist.
Immer wenn ich
den Eiffelturm so kühn und unverwüstlich in den Pariser Himmel aufragen sah,
dachte ich voller Stolz an meinen Urgroßvater, einen Ingenieur, der viele
Erfindungen gemacht hatte und an der Konstruktion dieses beeindruckenden
Monuments aus Eisen und Stahl beteiligt gewesen war.
Was für ein
großartiges Gefühl mußte es sein, wenn man so etwas erschaffen konnte, hatte
ich mich oft gefragt. Doch in diesem Moment hätte ich nicht mit meinem Urgroßvater
tauschen wollen. Ich konnte zwar keinen Eiffelturm bauen (und ehrlich gesagt
nicht einmal ein
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