Das Laecheln der Menschen
Überlieferungen bisher keinen Glauben geschenkt, doch das, was er hier zu sehen bekam, sprengte alle seine Vorstellungen von einem Paradies.
Aber dann wechselten die Bilder, und er sah riesige, turmartige Häuser aus Stein, Eisen und Glas, zwischen denen sich Menschen wie winzige Insekten bewegten. Er sah gigantische Röhren, die sich wie Speere in einen bleifarbenen Himmel reckten und dunklen, fetten Qualm in die Luft spien.
Wieder wechselten die Bilder.
Die mächtigen Flüsse waren jetzt braun, schaumig und schlammig geworden; in ihnen trieb Dreck und Abfall. Die Bäume der Wälder trugen kaum noch Blätter und ihre Stämme verfaulten und verrotteten. Tiere waren kaum noch zu sehen.
Temaju sah jetzt auch Menschen, die seltsame, monströse Masken vor den Gesichtern trugen. Der Himmel über ihren riesenhaften Wohntürmen war voller schmutziger Dunstwolken.
Neue Bilder erschienen:
Stürme rasten über das Land, das jetzt kahl und leer war. Die Flüsse waren versiegt und bildeten nur noch schmale Rinnsale schmutzigen Wassers. Das Gras verdorrte und die Erde trocknete aus. Menschen waren zu sehen, die sich mit Gefäßen und Behältern um Brunnen, Rinnsale und Pfützen drängten, um dort Wasser zu schöpfen. Manchmal schlugen sie sogar aufeinander ein und kämpften erbittert um das Wasser, von dem es nur noch wenig gab. Viele mussten verdursten, und nur die Widerstandsfähigsten überlebten.
Nun hörte Temaju eine Stimme, die direkt aus der Bildscheibe zu kommen schien. Sie redete in einer Sprache mit einem Dialekt, den die Stammesältesten manchmal bei ihren Beschwörungsritualen benutzten.
Die Stimme sprach von Verseuchung des Wassers, von Vergiftung der Luft und vom Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten. Sie erzählte von der Zerstörung der Ozonschicht in der Atmosphäre, und dass die Sonne schädliche Strahlen auf die Erde sandte.
Viele der Worte konnte Temaju nicht verstehen, doch die Bilder zeigten ihm ihre Bedeutung.
Dann berichtete die Stimme von der raschen Ausbreitung der Wüsten- und Steppengebiete, vom Ausbleiben des Regens und von heißen Stürmen, die den Sand aus den Wüsten in die einst grünen Gebiete trugen.
Die Bilder zeigten jetzt Sandstürme und gigantische Wanderdünen, welche die großen Bauten und sogar ganze Städte unter sich begruben. Nichts vermochte sie aufzuhalten. Nur wenige von den großen Werken der Menschheit blieben verschont.
Nun wechselten die Bilder ein letztes Mal, und sie zeigten riesige Wüstengebiete und karge Steppen, in denen es nur noch wenige fruchtbare Oasen gab, in denen man noch Wasser fand und wo noch Menschen leben konnten.
Diese letzten Bilder waren Temaju wohlvertraut, denn sie zeigten die Welt, in der er geboren wurde und in der er jetzt leben musste.
Betroffenheit und Trauer erfüllten ihn, denn er begann zu verstehen.
Vor langer Zeit war die Welt ein Paradies gewesen, in dem es genug Nahrung und Wasser für alle gegeben hatte. Doch die Großen Alten, seine Vorfahren, hatten vor langer Zeit das Paradies zerstört. Sie hatten ihren Nachkommen nur noch Wüsten, karge Steppen und den ständigen Kampf gegen den Hungertod hinterlassen. Ein trauriges und grausames Erbe.
Die Bilder in der Scheibe verschwanden, ihr helles Flimmern erlosch und sie wurde wieder dunkel und grau. Auch das Summen der Eisenkisten verstummte. Ihre bunten Knöpfe hörten auf zu leuchten.
Es wurde still.
Benommen und betroffen von dem, was er gesehen hatte, erhob sich Temaju und ging zurück zum Eingang. Als er durch den noch offenen Spalt der Tür helles Tageslicht schimmern sah, begriff er, dass er die ganze Nacht lang die Bilder aus der fernen Vergangenheit betrachtet hatte.
Neben dem Eingang lag noch immer der Beutel mit den gefangenen Klapperschlangen. Wehmütig dachte Temaju an die vielen schönen Tiere, die er in den Bildern gesehen hatte. Wenn es sie noch geben würde, bräuchte er sich nicht mit einer so jämmerlichen Jagdbeute zufriedengeben.
Er hob den Beutel auf und zwängte sich durch den Türspalt nach draußen. Hinter ihm erlosch das Licht, und dann herrschte drinnen wieder völlige Dunkelheit.
Draußen aber stand Temaju und sah den Sand, einen endlosen Ozean aus Sand, in dem nichts blühen und gedeihen konnte. Er dachte voller Traurigkeit an die Wälder und die großen Flüsse, die ihm die Bilder aus der Vergangenheit gezeigt hatten. Temaju begann zu weinen ...
"Erst wenn der letzte Fisch gefangen,
der letzte Fluss vergiftet
und der letzte
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