Das Lächeln der toten Augen
Ein großer Mann mit grauen Haaren. Trevisan, was halten Sie davon?«
Trevisan fuhr sich über die Stirn. Er begann zu schwitzen. »Dann hat Halbermann jetzt wohl die Führung an sich gerissen«, sagte er bedrückt. Jan Simacs Einschätzung der personellen Situation innerhalb der Gruppe traf zu. Paula war in allerhöchster Gefahr.
»Dann werden wir umgruppieren müssen«, antwortete Lund. »Die Spezialeinheit übernimmt den Auftrag der Gruppe zwei. Auf geht’s, es gilt, keine Zeit zu verlieren.«
*
Paula saß auf einem Stuhl, der einem hölzernen Thron ähnelte. Sie fror. Ihre Hände waren mit dicken Seilen an den Stuhl gebunden. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Der Raum, in dem sie saß, glich einer Art altertümlichem Ratsherrenzimmer. Ein großer Eichentisch stand in der Mitte, umrahmt von ebenso rustikalen Stühlen. Alles hier wirkte wie aus einem längst vergangenen Jahrhundert. An der Wand hingen riesige Gemälde, alte Schilde und gekreuzte Schwerter. In der Ecke stand ein mächtiger hölzerner Buchständer, auf dem ein riesiges Buch lag.
Sie hörte die Schritte draußen auf dem Gang. Ihr schnürte es den Atem ab.
Ein großer, schlanker Mann mit tiefschwarzen Haaren und eng beieinander liegenden Augen betrat den Raum. Die Augen waren ebenso dunkel wie seine Haare und wirkten wie zwei Kohlen. Er trat vor sie und lächelte zynisch.
»Du bist also die Achillesferse meines Widersachers«, sagte er mit einer tiefen Stimme, die klang, aus käme sie mitten aus einer Gruft.
»Was … was wollen Sie von mir?«, stammelte Paula.
»Glaubst du an Gott?«, fragte der Dunkelhaarige.
Paula spürte die Kälte, die von dem Mann ausging. Sie zitterte.
»Lassen Sie mich gehen!«, schrie sie plötzlich ihre Angst hinaus. »Mein Vater ist bei der Polizei. Er wird mich suchen. Dann werden Sie …«
»Was werde ich?«, fiel er ihr ins Wort. »Wird er mich töten?«
Paula schwieg. Sie spürte, dass es keinen Sinn hatte, mit dem Mann zu reden.
»Ich hatte einen Sohn«, erzählte der Mann. »Er war etwa in deinem Alter. Jetzt ist er in den Kreis zurückgekehrt. Seine Mutter ist ihm gefolgt. Daran ist nur dein Vater schuld. Er ist böse. Er trägt die Pestilenz in sich und er wird sterben.«
Paula lief eine Träne über die Wange. »Lassen Sie mich gehen«, schluchzte sie.
Der Mann ging an das Fenster und schaute hinaus. Draußen dämmerte es bereits. Dann griff er nach einem der Schwerter, die an der Wand hingen.
»Liebst du deinen Vater?«, fragte er.
Aus dem Zittern war ein Beben geworden. Paula spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Sie nickte.
»Das ist gut«, sagte der Mann. »Er wird den Schmerz erleiden, den er mir zufügte. Er hat mir alles genommen. Meinen Sohn, meine Frau, das ganze Leben. Er wird dafür büßen. Bevor er dir folgt, soll er all die Pein und den Schmerz erfahren, den ich erdulden musste.«
Der Mann machte einen Schritt auf Paula zu und hob das Schwert. Paula schloss die Augen und wandte den Kopf zur Seite. Sie spürte den Luftzug, als die Klinge an ihr vorbeistrich.
»Noch ist die Stunde nicht gekommen«, sagte Halbermann mit einem gemeinen Lächeln auf seinen Lippen. »Doch sie ist nah – er ist nah.«
Erneut waren Schritte auf dem Gang zu hören. Die Tür wurde aufgerissen. Ein Mann stürzte in das Zimmer.
»Schnell, Ehrwürdiger«, sagte der Bote hastig. »Es gibt ein Problem.«
*
Trevisan saß im Fond des Geländewagens und blickte ungeduldig aus dem Seitenfenster. Er steckte in einem dunklen Overall, trug Springerstiefel, und eine italienische Beretta baumelte an seiner Hüfte. Als die Wagen auf den kleinen Damm abbogen, begegnete ihnen ein sonderbares Gefährt. In der Dämmerung wirkte es wie ein alter Eisenbahnwaggon, der von einem altersschwachen Traktor gezogen wurde.
»Der Deichbus aus Mandø«, erklärte Kommissarin Holt, die ebenfalls einen schwarzen Kampfanzug trug und ihre langen roten Haare zu einem Zopf zusammengebunden hatte. »Die letzten Touristen verlassen die Insel.«
Trevisan schaute dem Gespann nach, als sie an ihm vorüberfuhren. »Gibt es dort denn keine Hotels oder Pensionen?«
»Mandø ist eine kleine, eher verschlafene Insel«, erklärte Kommissarin Holt. »Es leben nur wenig Menschen darauf. Hauptsächlich bevölkern Vögel die Küste. Nur im Südwesten gibt es eine kleine Siedlung. Von der Mühle auf Mandø haben Sie wohl schon gehört?«
Trevisan schüttelte den Kopf, doch das fiel nicht sonderlich auf, als die beiden Geländewagen und der LKW
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