Das Lächeln der toten Augen
Halbermann wusste, dass er sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatte. Solange Gehlers noch am Leben war, musste Halbermann mit Widerstand gegen seine Regentschaft rechnen. Er war selbst daran schuld. Er hatte den alten Mann zu dem gemacht, was Gehlers jetzt war – zum geistigen Führer der Organisation. Dabei war der alte Professor damals nicht viel mehr als ein hoffnungsloser Phantast gewesen. Ohne Halbermanns Zutun wäre die Gruppe nicht zu dem geworden, was sie heute war. Schon damals, als Student noch, als Gehlers von der geheimnisvollen anderen Welt erzählte, hatte Halbermann gewusst, dass er dieser Vision folgen würde, dass er genau dafür geboren worden war.
Er war aufgewachsen mit einer tiefen Rastlosigkeit, die er stets in sich getragen hatte, und niemand hatte ihn aus seiner inneren Zerrissenheit befreien können. Nicht einmal seine Mutter, mit der ihn eine besondere Beziehung verband, weil sein Vater nie für ihn da gewesen war.
Und so war er stets auf der Suche gewesen. Ein Suchender in einem undurchdringlichen Dschungel aus Luxus, Glamour und Überfluss. Gehlers hatte ihm eine andere Welt gezeigt, eine rätselhafte Welt, die ihn faszinierte, die für ihn geschaffen war. Und so hatte er sein Leben geändert und war der vermeintlich einzigen Sache gefolgt, die seinem Leben einen Sinn gab.
Und nun, da alles auf dem Spiel stand, musste er erkennen, dass er alleine war, dass er sich auf niemanden verlassen konnte, nicht einmal auf diejenigen, die sich dem gleichen Ziel verschworen hatten. Manche wollten gehen, weggehen und sich dem Schicksal ergeben, ganz so, als ob dies hier eine Theatervorstellung war, die man einfach verlassen konnte, wenn sie einem nicht mehr gefiel. Das konnte er nicht zulassen.
Er eilte aus dem Zimmer, in dem die Tochter des unheilvollen Boten auf ihren Tod wartete. Er eilte hinaus in die scheinwerferdurchflutete Nacht. Doch schon im Flur traf er auf einige der Abtrünnigen.
»Niemand geht hier so einfach weg!«, zischte er den dreien zu. Noch immer hielt er das Schwert fest umklammert.
Die Männer musterten ihn mit ängstlichen Blicken.
»Ihr wollt gehen?«, fragte er sie. »Euren Schwur vergessen und die Sache verraten?«
Einer der Männer schüttelte den Kopf. »Sie sind in der Übermacht!«
Halbermann trat vor ihn hin und schaute ihm durchdringend in seine Augen. »Niemand wird die Insel verlassen!«
Noch bevor er weiterreden konnte, fielen Schüsse.
*
Trevisan erreichte den Seitenflügel des Hauptgebäudes. Zwei Polizisten der Spezialeinheit hatten sich hinter der Hausecke verschanzt. Einer zischte ihm etwas zu. Trevisan verstand ihn nicht, doch als plötzlich direkt neben ihm ein Projektil ins Holz einschlug, wusste er, was ihm der dänische Kollege hatte sagen wollen. Trevisan ließ sich fallen. Ein weiterer Schuss peitschte auf. Der Schütze musste sich auf der anderen Seite des Gebäudes verschanzt haben.
Mit einem mächtigen Satz sprang Trevisan hinter einer kleinen Mauer in Deckung. Hart schlug er auf. Mit dem Knie prallte er gegen einen Holzpfosten. Den Schmerz ignorierte er. Mühsam rappelte er sich wieder auf und schlich zur nahen Hauswand. Er drückte sich dicht dagegen und verharrte. Ein Beamter der dänischen Spezialpolizei hatte gegenüber auf den Boden Stellung bezogen und zielte mit einem Sturmgewehr auf eines der Fenster, während sein Kollege vorsichtig um die Hausecke spähte. Plötzlich zirpte eine Kugel nahe an der Wand vorbei. Zwei weitere Schüsse brachen. Der Polizeibeamte zog hastig den Kopf zurück.
Trevisan hatte das Mündungsfeuer des Schützen wahrgenommen und zielte mit seiner Waffe auf die Stelle. Zweimal drückte er ab, da taumelte eine Gestalt aus einer Nische hervor und stürzte zu Boden. Sofort sprangen die beiden Polizisten auf und hasteten auf den Mann zu. Trevisan richtete sich auf und hetzte weiter. Der Eingang des Hauptgebäudes war sein Ziel.
Neben der Tür sank er zu Boden und rang nach Atem. Nur noch vereinzelt waren Schüsse zu hören. Schließlich wurde es ruhig bis auf das Prasseln des Feuers. Offenbar war die Gegenwehr erlahmt. Das Dröhnen eines Hubschraubers wurde lauter und überlagerte bald die Geräusche des Brandes. Trevisan verharrte und strich sich mit seiner Hand über die Stirn. Er schwitzte. Der Hubschrauber entfernte sich wieder.
Plötzlich erklang die schrille Stimme eines Mädchens: »Neeiiiinn!«
Trevisan lief ein kalter Schauer über den Rücken.
Dann hörte er Lund laut rufen, er befahl
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