Das Lächeln der toten Augen
Dienststelle würde ihn in diesen zwei Stunden stören.
Das Gespräch war nur kurz. Trevisan lehnte an der gläsernen Wand und spielte mit dem kleinen, schwarzen Gummiball.
»Ich muss in die Klinik. Ein Unfall, sechs Schwerverletzte. Tut mir leid«, sagte Peter. Trevisan konnte mitfühlen, oft genug war er in seiner Freizeit schon in die Polizeiinspektion gerufen worden. Er wartete, bis Peter gegangen war, dann ging auch er in die Umkleidekabine. Es war Viertel nach zehn. Er hatte es nicht eilig. Er duschte und genoss den warmen Wasserstrahl, der über seinen Rücken perlte.
Als Trevisan fertig war, fuhr er in die Innenstadt. In der Nähe des Bahnhofs fand er einen Parkplatz und ging zu Fuß in die Marktstraße. In einem Buchladen suchte er nach einem packenden Roman. Nur kein Krimi sollte es sein, Mord und Totschlag gab es genug in Trevisans Leben. Eine Stunde später kehrte er zurück zu seinem Wagen. In seiner Tüte befanden sich zwei Kochbücher. Eine Trennkostfibel und eines über leichte mediterrane Küche.
Als er in seinen Wagen stieg, fiel sein Blick auf ein junges Paar, das ein paar Meter entfernt vor einem dunklen Wagen stand. Das rotblonde Mädchen küsste den jungen Mann voller Hingabe, bevor dieser den Wagen umrundete und auf der Fahrerseite einstieg.
Trevisans Mund stand offen, er war zu keiner Bewegung fähig. Die roten Haare standen ihr nicht, ihr natürliches, mittelblondes Haar gefiel ihm viel besser, doch welcher Vater konnte schon gegen die modischen Flausen seiner pubertierenden Tochter angehen. Auch das Mädchen war mittlerweile eingestiegen. Der dunkle Wagen fuhr los.
»Paula …?«, murmelte Trevisan. Hatte sie nicht gesagt, dass sie den Tag bei ihrer Freundin Anja in Breddewarden verbringen wollte?
Vor lauter Verblüffung vergaß Trevisan, sich das Autokennzeichen zu merken. Er war sich aber sicher, dass der Wagen eine Wilhelmshavener Zulassung hatte. Nachdenklich fuhr er nach Sande zurück. Den Gedanken, bei Anjas Eltern vorbeizufahren und sich nach Paula zu erkundigen, verwarf er. Ein Anruf war vielleicht besser. Schließlich wollte er sich nicht lächerlich machen. Aber das Bild des rothaarigen Mädchens ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Hatte er sich getäuscht? Wie sehr er doch hoffte, sich geirrt zu haben …
Es war kurz nach zwei. Viermal hatte Trevisan inzwischen vergeblich versucht, bei den Stendals, Anjas Eltern, anzurufen. Bislang hatte sich niemand gemeldet. Konnte es sein, dass Paula ihn angelogen hatte und gar nicht zu Anja gefahren war?
Trevisan überlegte, ob er nicht nach Breddewarden hinauffahren sollte. Erneut griff er nach dem Telefonhörer. Mit nervösen Fingern wählte er die Nummer von Anjas Eltern. Diesmal musste er nicht lange warten, bis sich eine Frauenstimme am anderen Ende meldete.
»Guten Tag, ich bin Martin Trevisan, Paulas Vater. Ich wollte nachfragen, ob ich mit Paula sprechen kann?«
»Oh, das geht momentan leider nicht. Die Mädchen sind in die Stadt gefahren. Shoppen. Sie wissen doch, so was kann dauern«, erklärte die Frauenstimme mit heiterem Unterton. »Soll ich etwas ausrichten?«
»Sind Sie Anjas Mutter?«, fragte Trevisan vorsichtig. Er kannte die Frau nur flüchtig. Auf den Schulfesten waren sie sich ein paarmal begegnet.
»Ja. Ich habe die Mädchen heute um zehn nach Wilhelmshaven gefahren. Ich hole sie gegen Abend wieder ab. Ist etwas nicht in Ordnung?«
Trevisan überlegte. »Nein … Nein, ich glaube, das hat Zeit bis morgen. Vielen Dank. Auf Wiederhören.«
Trevisan legte den Hörer auf, ohne die Erwiderung abzuwarten. Sein Anruf war ihm plötzlich peinlich. Jetzt wusste er, dass Paula ihn wegen der Übernachtung nicht angelogen hatte, doch die Ungewissheit, ob Paula das Mädchen auf dem Parkplatz gewesen war, ließ ihm keine Ruhe. Paula war erst fünfzehn. Sie war ja noch ein Kind. Trevisan suchte nach seinem Handy. Dort hatte er Paulas Handynummer gespeichert. Bestimmt trug sie es bei sich.
Noch bevor Trevisan sein Handy gefunden hatte, klingelte das Telefon. Rief Paula etwa zurück? Er ging den Flur entlang und nahm den Hörer ab. »Trevisan«, sagte er erwartungsvoll.
»Hallo, ich bin es, Alex«, sagte Alex Uhlenbruch zögernd. »Ich störe nur ungern, aber ich brauche deine Hilfe.«
»Was ist los?«
»Du weißt, ich habe heute Bereitschaft. Aber ich kann leider nicht. Meine Schwester ist überraschend zu mir gekommen. Es … es gibt Probleme, familiär, du verstehst? Dietmar hat angerufen, wir haben einen Einsatz.
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