Das Lächeln der toten Augen
doch gar nicht«, unternahm Trevisan einen schwachen Verteidigungsversuch.
»So, worum geht es Ihnen denn?«
»Paula ist fünfzehn«, erklärte Trevisan. Er spürte, dass sein Gesicht von einer Röte überzogen war. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
»Wissen Sie eigentlich, wie viel Arbeit wir in unsere Projekte stecken?«
»Das hat doch gar nichts …«
»Nikolas ist zum letzten Mal vor drei Jahren straffällig geworden«, fiel ihm die Frau ins Wort. »Er hat seine Schule nachgemacht und steht kurz vor dem Fachabitur. Wir setzen große Hoffnungen in ihn. Er will Schiffsbauingenieur werden, und ich bin überzeugt, dass er seinen Weg machen wird.«
»Das hat überhaupt nichts mit meiner Tochter zu tun. Sie ist erst fünfzehn.«
Die Frau lachte. »Würden Sie auch den lieben Nachbarsjungen nach Hause schicken, wenn er sich mit Ihrer Tochter trifft?«
»Was soll das heißen?«
»Fünfzehn ist doch nur ein schwaches Argument. Es geht Ihnen um Nikolas’ Vergangenheit, nicht wahr?«
Trevisan explodierte. »Wissen Sie eigentlich, dass er sich strafbar macht, wenn er sich mit einer Minderjährigen einlässt?«
»Sagen Sie, wo leben Sie eigentlich?«, entgegnete die Frau gelassen. »Wenn Sie alle Achtzehnjährigen einsperren wollen, die mit einer Minderjährigen zusammen sind, dann würden alle freien Zellen in Deutschland nicht ausreichen. Oder gibt es doch noch einen anderen Grund?«
Trevisan wünschte sich, diese unverschämte Person würde endlich sein Büro verlassen.
»Sie erziehen Ihre Tochter alleine?«, fuhr die Frau fort.
»Und was geht das Sie an?«
»Also doch, das dachte ich mir gleich. Die Eifersucht. Es ist schon schwer, wenn man als Vater erkennen muss, dass die einzige Tochter bemerkt hat, dass es noch andere Männer gibt als den eigenen Vater.«
»Werden Sie jetzt nicht unverschämt, sonst schmeiße ich Sie eigenhändig raus!« Trevisan glühte. Seine letzten Worte waren bestimmt bis in den letzten Winkel des Stockwerkes zu hören gewesen.
»Sie vergessen sich«, antwortete die Frau.
»Woher nehmen Sie nur Ihre Abgebrühtheit …«, Trevisan bemerkte, dass er mit seinem Tonfall über das Ziel hinausgeschossen war. »Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht anschreien.«
»Schauen Sie, Sie tun sich wirklich keinen Gefallen, wenn Sie diese Beziehung auf diese Art beenden wollen. Sie werden sich trotzdem treffen. Heimlich natürlich. Und in den allermeisten Fällen passiert dann mehr, als die beiden unter normalen Umständen zu tun bereit wären.«
Trevisan war fassungslos. »Was meinen Sie damit?«
Die Frau drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht. »Ein reifes Mädchen trifft ihren Traumtyp. Die erste große Liebe. Doch sie stehen unter Druck. Unter Zeitdruck, besser gesagt. Es kann schnell jemand hinter die Verbindung kommen, dann wäre alles zu Ende. Also geht das Mädchen weiter, als sie normalerweise gehen würde.«
»Meine Paula?«
»Mein Gott, Sie waren doch auch einmal jung«, erwiderte sie. »Dann wissen Sie doch auch über das erste Mal Bescheid.«
Trevisan seufzte. »Und was sollte ich Ihrer Meinung nach tun? Das Bett richten?«
Die Frau steckte sich eine weitere Zigarette an. »Lassen Sie die beiden einfach in Ruhe.«
»Und dann?«
»Ich kenne Nikolas. Er ist ein lieber und zurückhaltender Junge.«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder etwa doch?«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie reden einfach einmal mit Nikolas. Ohne Vorbehalte. Lernen Sie ihn kennen. Er ist ein ganz dufter Kerl. Und haben Sie bitte keine Vorurteile. Er steht zu dem, was er mal gemacht hat. Aber was hatte er für eine Chance? Vater und Mutter Alkoholiker, ohne jegliche Perspektive. Jetzt hat er eine Zukunft vor sich.«
Trevisan war sprachlos.
Die Frau drückte ihre Zigarette aus und erhob sich. »Lassen Sie sich meine Worte einmal durch den Kopf gehen«, sagte sie. »Vielleicht besuchen Sie uns einfach mal, Sie wissen ja, wo wir zu finden sind.«
Noch bevor Trevisan antworten konnte, hatte die Frau das Zimmer verlassen. Er wartete vergeblich darauf, endlich aus diesem bösen Traum zu erwachen. Noch immer lag der kalte Rauch in der Luft.
*
Es war spät geworden. Trevisan dachte noch immer über das Gespräch mit dieser seltsamen Frau nach. Welch absurde Ansichten diese Sozialarbeiterinnen hatten. Kopfschüttelnd griff Trevisan zu seiner Windjacke, die er neben dem Waschbecken über den Handtuchhalter gehängt
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