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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gezogenen
     Kurve, die von Norden naht. Ein verdammtschöner Ort, um mit dem Schneemobil unterwegs zu sein, wenn man sich den Schnee hinzudenkt, das Ganze mit der Dämmerung eines
     Winterabends überblendet und den typischen mörderischen Nordwind darüber hinwegfegen lässt. Was man sich an jenem brütend
     heißen Augustmorgen, an dem die Sonne unsere Schädel gratinierte und ganze Horden winziger Helikopter über uns herfielen,
     allerdings nur schwer vorstellen konnte. Die Vögel fingen, eben noch durch unser Eintreffen aufgescheucht, wieder an zu zwitschern,
     und die Heuschrecken setzten in dem schmalen Sumpfgebiet ihr Geknusper fort. Wir rieben uns mit Insektenöl ein und begannen
     unter den gottlosen Blicken der Krähen, dieser Negativfassungen der Möwen, mit unseren Nachforschungen. Es ging darum, nicht
     nur das Umfeld der Gleise, sondern auch das hohe Gras und den Waldrand abzusuchen, wildes Brachland, in das der Kopf möglicherweise
     katapultiert worden war. Ich versuchte, nicht an das zu denken, was ich womöglich entdecken würde. Ich hoffte nur, dass die
     Aasfresser für die Verrichtung ihrer Arbeit ausreichend Zeit gehabt hatten.
    Wir bewegten uns auf feindlichem Gebiet, denn hier war die Domäne des Zuges. Die Gleise entlangzulaufen war in etwa so, als
     würde man die frische Fährte des Ungeheuers aufnehmen, und während ich weiterging, waren meine Nerven zum Zerreißen gespannt.
     Innerlich kochte ich vor Wut. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Schrotthaufen, dieser Väterverstümmler, sich zeigte, damit
     ichendlich meinen Rachegelüsten freien Lauf lassen und ihm Schimpfworte und Steine entgegenschleudern konnte. Ich hatte nicht
     übel Lust, ihm eine Falle zu stellen, die Gleise abzumontieren oder die Brückenpfeiler in die Luft zu sprengen. Wie sehr bedauerte
     ich, nicht das geeignete Werkzeug dabeizuhaben! So blieb mir nichts anderes übrig, als die verhassten Gleise zu bespucken.
    Hier und dort stießen wir auf Spuren des Unfalls: Plexiglassplitter und Fiberglasfragmente, Maschinenteile, Reste eines zerfetzten
     Sattels. Dann ein ganzer Ski, der seltsamerweise wie ein kabbalistisches Zeichen im Gestrüpp steckte. Plötzlich rief Luc nach
     mir, und ich überquerte, auf das Schlimmste gefasst, die Gleise. Aber es war nicht etwa der Kopf meines Vaters, sondern ein
     Handschuh meiner Mutter. Ich verstaute die Reliquie in meiner Tasche, worauf wir das Gestrüpp umso wachsamer durchforsteten,
     in der festen Überzeugung, dass das, wonach wir suchten, sich ganz in der Nähe befand.
    Nie würde der vierundfünfzigste Kilometer je wieder so gründlich durchkämmt werden wie von unseren jungen radargleichen Sinnen,
     doch der Tag neigte sich seinem Ende entgegen, und wir hatten noch nicht einmal den Helm meines Vaters gefunden. Schließlich
     standen wir ganz geknickt mit leeren Händen an der Brücke. Bei Einbruch der Dämmerung traten wir den Rückweg an. Wir waren
     dermaßen schmutzig, dass Großmutter um ein Haar einen Anfall bekommen hätte, aber nach einer gründlichen Reinigung war sie
     dann doch bereit, uns etwaszu essen zu machen. Luc beschloss, bei uns zu übernachten.
    Jetzt liegt er wie eine Portion Kaviar drüben auf dem anderen Bett und schnarcht, während ich schreibe, munter vor sich hin.
     Was mag wohl mit diesem Kopf geschehen sein? Wurde er von einem Tier geklaut? Hat ein Wolf oder Bär sich Papas Schädel geholt,
     um ihn in aller Ruhe in seinem Bau zu verspeisen? Was soll ich jetzt nur tun?
     
    *
     
    Gegen Mitternacht wurde ich plötzlich von Lucs aquatischem Gestammel geweckt. Er unterhielt sich mit irgendeinem ihm bekannten
     Tritonen. Ich stand auf, um ins Bad zu gehen, und als ich an Mamas Zimmer vorbeikam, war die Tür offen. Ich trat ein, um nachzusehen,
     ob alles in Ordnung sei. Ein betäubender Mond drückte sich gegen die Scheibe und hüllte Mama in ein zusätzliches Daunenbett.
     Als ich gerade wieder gehen wollte, fiel mir ein Detail auf: An ihrem Fußende glänzte der Boden. Die Dielen waren nass. Richtige
     Lachen waren zu sehen. Fußspuren. Mir sträubten sich die Haare. Ich wandte mich zum finstersten Winkel des Raumes um − wo
     Papa stand.
    In seinem Ski-doo-Anzug und mit dem geschmolzenen Schnee, der von seinen Stiefeln tropfte, wirkte er erschreckend real. Aus
     dem vulkanischen Krater seines Halses wehte ein eisiger Hauch, der zu einem geisterhaften Gesicht kondensierte. Ich hätte
     gern daran geglaubt, dass ermeiner Mutter nur einen Besuch

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