Das Lächeln des Leguans
zögert wegen der damit verbundenen Konsequenzen. Schließlich sind da noch meine Großeltern,
die nach all den Sorgen in der letzten Zeit stark gealtert sind und die wir nach allem, was sie für uns getan haben, ungern
sich selbst überlassen möchten. Auch von Luc wollen wir uns nicht trennen, wir werden ihn überreden müssen, mit uns nach Villeneuve
zu kommen, was nicht einfach sein wird. Der Gedanke an einen tränenreichen Abschied hält Mama davon ab, fortzugehen. Sie sagt,
es wolle reiflich überlegt sein, und schiebt die endgültige Entscheidung immer wieder auf. Das ist mir nur recht. Was mich
betrifft, so habe ich keine Eile.
*
Mit dem schönen Wetter tauchen lauter kälteempfindliche Vögel auf, und Joël, Marc und Luigi, Lucs Taucherfreunde, gehören
zu den sonderbarsten Exemplaren. Sie haben auf Martinique überwintert und sind rundum goldengebräunt von dort zurückgekehrt. Sie haben sich erneut einen Arbeitsvertrag im Hafen von Villeneuve gesichert und sind froh,
wieder ihr altes Mauseloch beziehen zu können. Die Burschen haben sich in Unkosten gestürzt: Sie haben sich ein großes Schlauchboot
mit einem Fünfundzwanzig-P S-Motor geleistet, in dem sie allabendlich nach dem Essen über die Brandung jagen. Wir lassen uns nicht zweimal auffordern, sie zu
begleiten; ich kenne nichts Aufregenderes, als auf diese Weise in Schallgeschwindigkeit Gischt zu schlucken. Luc sitzt gern
am Bug und verschlingt alles gierig mit den Augen, aber sobald wir beim Schweinehund vorbeikommen, wendet er sich ab. Er will
seinen Möchtegernvater um keinen Preis sehen. Allerdings ist die Bestie ohnehin unsichtbar. Unberührt vom Wechsel der Jahreszeiten
hat sich der Schweinehund in seiner privaten Sahara verschanzt, und das Boot auf dem Trockenen setzt allmählich Moos an. Allein
das gelegentliche Fehlen des Lieferwagens zeugt noch von irgendeiner larvenähnlichen Existenz.
*
Die Dorschsaison ist eröffnet und mit ihr die Jagd nach Flaschen. Sie verspricht, ertragreich zu werden, und Luc grast mit
Feuereifer das Ufer ab, denn Joël, der seine Taucherausrüstung erneuern will, hat versprochen, ihm sein altes Druckventil
und seine gebrauchten Druckluftflaschen zu einem Spottpreis zu verkaufen. Die Strände beleben sich. Es werden wieder Feuer
entfacht. Großvaterentstaubt sein Repertoire an Lügengeschichten und serviert uns neue Versionen, die furchterregender sind als alle zuvor.
*
Wir erleben den plötzlichen Ausbruch des Sommers, sein atomares Knospen, seine Pyrotechnik verlockender Verheißungen, und
das Schönste an diesem Feuerwerk ist, dass endlich Ferien sind. Für eine Weile, die sich hoffentlich so lang wie möglich hinziehen
wird, schicken wir die Schule und alles, was wir als lästig empfinden, zum Teufel. Wir sind gleichsam Auswüchse unserer übersteigerten
Sinne. Wir verkürzen unseren Schlaf, um nur ja keine Minute zu vergeuden, denn es gilt, jeden einzelnen Tropfen des berauschenden
Elixiers, das aus der angestochenen Sonne rinnt, zu kosten und die von ihr destillierten unbändigen Photonen in unseren Poren
zu speichern. Wir lassen uns die Freiheit schmecken. Wie die überall brodelnde Natur können wir es kaum erwarten, zu wachsen,
ein aufregendes Dasein zu führen, in der tausendsten Potenz zu leben.
*
Das hatte gerade noch gefehlt: Ganz unerwartet ist Onkel Hugues aufgekreuzt. Hugues, der bis auf eine einzige Ansichtskarte
aus Liberia seit zwei Jahren kein Lebenszeichen von sich gegeben hat. Hugues, mit dem niemand rechnete, der beim Abendessen
plötzlich auftauchte und seinen Koffer mit Aufklebern aus aller Herren Länder aufder Türschwelle abstellte. Hugues, der Vagabund, der Abenteurer, den meine Großeltern mit gemischten Gefühlen wiedersahen,
da er das am wenigsten weiße Schaf in unserer ehrbaren Familie ist, dem Mama und ich aber trotzdem um den Hals gefallen sind,
weil er nicht nur ihr großer Bruder, sondern auch mein Lieblingsonkel ist.
Hugues und Mama waren schon immer unzertrennlich. Als er sich über die Wiege des kleinen Mädchens neigte, das an seinem sechsten
Geburtstag zur Welt gekommen war, stand für Hugues fest, dass sie ein Geschenk für ihn sei, und seitdem ist sie sein Ein und
Alles, seine Elfe, sein Engel im Taschenformat, sein Schatz. Sie hatte Durst? Dann lief er los und kaufte ihr im Laden eine
Pepsi. Sie wünschte sich einen Ball? Dann klaute er einem der Kinder aus der
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