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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Wand erhellt wurde.
    Das Licht fiel schräg auf ein Gewirr von Glasröhrchen, die sich durch den Raum schlängelten und über einem stabilen Ledersessel zentrierten. Es war der von Miss Devine bevorzugte Gefühlsdestillator, und bei einer anderen Gelegenheit wäre Mark beeindruckt gewesen. Doch im Moment befasste er sich weit mehr mit der Gestalt, die am Fuß des Sessels auf dem Boden saß.
    Cherubina blickte nicht auf, als er eintrat. Sie hatte den Kopf geneigt, sodass ihre Ringellöckchen ihr ins Gesicht fielen. Sie nähte mit einem langen dunklen Faden wie wild an etwas, das zerknautscht zu ihren Füßen lag. Das war aber doch zu groß, um eine Puppe zu sein, oder?
    Als Mark ein wenig näher trat, erkannte er, um was es sich handelte.
    »Die Ähnlichkeit ist frappierend«, sagte er laut.
    Cherubina schaute nicht auf. Die lebensgroße Nachbildung von Snutworth unter ihren Händen war fast fertiggestellt. Sie war genauso gut wie die Puppen, die sie sonst fertigte – Cherubina hatte wirklich Talent.
    »Du brauchst das nicht zu tun«, sagte Mark, während er sich neben sie kniete. »Glaubst du, wir wären nicht alle wütend auf das Direktorium? Du hast deine Revolution bekommen, und wenn die Zeit reif dafür ist, werden wir uns den Direktor vorknöpfen …«
    »Nein, das werdet ihr nicht«, unterbrach ihn Cherubina mit schwacher, angespannter Stimme. »Ihr werdet im Tempel herumsitzen und gar nichts tun wie immer. Ich werde denen zeigen, wer unser wahrer Feind ist.«
    Mark streckte die Hand nach Cherubina aus. Mit einer schnellen Drehung des Handgelenks stach sie ihm mit ihrer Nadel in die Hand. Durch den jähen Schmerz zog er die Hand reflexartig zurück. Mark rieb sich die Wunde und versuchte, die kleine Blutung zu stillen.
    »Störe mich nicht«, knurrte Cherubina. Sie zog aus einem Stapel neben sich weitere Stofffetzen hervor und stopfte sie mit überraschender Heftigkeit in den leblosen Stoffkörper hinein.
    »Ich verstehe nicht …«, sagte Mark, um Einfühlsamkeit bemüht.
    »Wir verstehen die Bedürfnisse des anderen nie richtig, Mr Mark«, sagte Miss Devine hinter ihm. Sie schlenderte in den Raum und begann damit, an dem Gefühlsdestillator Einstellungen vorzunehmen. »Wir haben alle unsere Süchte. Vernunft spielt dabei nur selten eine Rolle.«
    Mark versuchte nicht weiter auf sie zu achten. Er senkte den Kopf, um einen Blick auf Cherubinas Augen zu erhaschen, doch sie wandte sich von ihm ab. Er seufzte. Es war offenkundig, dass er hier keine Fortschritte machen würde.
    »Na schön«, murmelte er. »Verity sagte, du hättest den kleineren Kochtopf? Wir wollen noch mal Wasser für Theo kochen.«
    »Ich brauche ihn.«
    Cherubina streckte die Hand aus und berührte die Stelle unter dem Herzen der Puppe. Es klapperte.
    »Ich habe die Puppe um ihn herum genäht«, sagte sie. »Man muss mit einem Kern aus irgendetwas anfangen. Und wenn sie im Feuer landet, wird der Topf schmelzen und das Metall herausströmen.« Nun schaute sie auf. Ihre Augen waren gerötet vom Weinen, blickten aber erschreckend eindringlich. »Es wird aus seinem Herzen herausströmen wie Schlacke. Dann werden sie sehen, mit was für einem Monster sie es zu tun haben. Sie werden sich zusammenrotten und das Direktorium stürmen und alles besser machen.« Sie fing erneut wie wild zu nähen an. »Siehst du nicht, Mark, dass ich ihn brauche?«
    »Nein, das tust du nicht.«
    Mark wollte Verständnis zeigen. Er wollte dieser seltsamen, verletzten jungen Frau die Hand reichen. Doch das hatte er vorhin schon einmal versucht. Und er war wohl doch nicht so verständnisvoll, wie er gedacht hatte. Der Nadelstich in seiner Hand brannte.
    »Hast du mich nicht verstanden?«, fragte er und merkte, wie sich seine Kehle zuschnürte. »Ich brauche diesen Topf, um Wasser abzukochen. Unsere Patienten brauchen es. Theo braucht es.« Er hielt die Stimme gesenkt, merkte aber, wie es in ihm anfing zu brodeln. »Du erinnerst dich doch an Dr. Theophilus, nicht wahr? Der Mann, der uns versteckt hat, als wir entkommen sind? Der Mann, der immer noch Tag für Tag versucht, Leben zu retten, obwohl er kaum in der Lage ist, sich zu bewegen? Der Mann, der mehr tut, um diesen Leuten zu helfen, als dein kleiner Kreuzzug es je getan hat?«
    »Wie kannst du es wagen?«, entgegnete Cherubina und warf ihre Nadel hin. »Du hast keine Ahnung, wie ich gelitten habe …«
    »Tatsächlich? Soweit ich es sehe, ist es dir immer gelungen, auf den Füßen zu landen!«, sagte Mark mit

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