Das Land des letzten Orakels
Etwas stimmte hier nicht, stimmte ganz und gar nicht.
Er machte einen Satz nach vorn und stürzte in die dunkle Kammer hinein.
Miss Devine stand hinter Cherubina und hatte beidhändig mit einem schweren Glaskrug weit ausgeholt.
Mark sprang auf Miss Devine zu, als diese gerade den Krug nach unten schwang. Er rammte sie, worauf sie beide gegen den Gefühlsdestillator stürzten. Die Scherben der zersplitterten Glasröhrchen flogen umher. Mark spürte, wie eine ihm die Wange aufritzte, und sah, wie der Krug an der gegenüberliegenden Wand zerbarst. Bleich und erschrocken sprang Cherubina auf die Beine, wobei sie über die Puppe trampelte. Miss Devine kratzte Mark wie eine Katze und befreite sich aus dem Haufen zerbrochenen Glases. Mark bekam ihr Knie in den Magen und taumelte nach Atem ringend zurück. Dann wirbelte er herum, doch Miss Devine ging nun bereits mit einer langen Glasscherbe in der Hand auf Cherubina los. Mark packte die Glasmacherin um die Hüfte und brachte sie zu Fall. Miss Devine rang nach Luft, als die Scherbe ihr tief in den Handteller schnitt und Blut aus der Wunde quoll.
Mark erhob sich, bereit dazu, Cherubina zu beschützen. Doch Miss Devine blieb auf dem Boden liegen, Auge in Auge mit der zerfetzten Puppe, und schaute diese mit merkwürdiger Eindringlichkeit an.
»Du hast ihn gut nachgebildet«, sagte sie leise.
Cherubina starrte bleich und zitternd auf sie hinab. »Was meint sie damit?«, fragte sie. »Mark, warum hat sie …«
»Sie kennen Snutworth, nicht wahr?«, unterbrach Mark sie. »Arbeiten Sie für ihn? Spionieren Sie uns aus?«
Miss Devine lachte. Es war ein leises, schmerzhaftes Lachen. »Meinen Sie, er bräuchte mich, um für ihn zu spionieren? Er weiß alles, Junge. Er hat die vollkommene Kontrolle.« Sie strich der Snutworth-Puppe übers Gesicht und hinterließ darauf eine Blutspur. »Er ist mein Herr, seit wir Kinder waren, seit wir Eigentum waren. Und ich kenne meine Pflichten.« Sie schleppte sich vorwärts, worauf Mark zwischen sie und Cherubina trat.
»Was?« Cherubina war nach wie vor verwirrt. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie … ihn lieben?«
Miss Devine schaute vom Fußboden aus mit einem geradezu mitleidigen Gesichtsausdruck zu ihr auf. »Dummes kleines Püppchen, du siehst die Welt immer wie ein Bilderbuch«, sagte sie spöttisch. »Wer könnte jemanden wie ihn lieben? Es ist keine Liebe; ich bin süchtig nach ihm. Wir haben alle unsere Sucht … für alle in dieser korrupten Stadt gibt es etwas, das uns wichtiger ist, als einen guten Handel abzuschließen. Und ich bin nach ihm süchtig. Seine Macht – seine Gewissheit. Die Welt ist voller Narren, und er ist der einzige Mann, den ich kenne, der weiß, was er will.« Ihr Blick verhärtete sich. »Er folgt einer Bestimmung. Und indem ich ihm folge, gilt das auch für mich. Das ist mehr als bei irgendwem sonst in dieser emsigen Stadt.« Sie heftete ihren Blick auf die beiden. »Ihr behauptet, Rebellion bringe euch Freiheit, aber durch sie müsst ihr bloß immer mehr auswählen, immer weiter entscheiden. Ihr habt keine Ahnung von der Freiheit des Gehorchens, der Freiheit, die Verantwortung abzugeben. Ich würde, ohne zu murren, alles für ihn tun. Das habe ich schon, und das werde ich weiter tun. Ich habe ihn nach oben gebracht. Ich habe meine Waren an Ruthven verkauft und ihn zu Fall gebracht. Es gab so viele Aufgaben … aber nur einen einzigen Misserfolg. Bis jetzt.« Ihr Blick sprühte vor Gift. »Sag mir, kleines Püppchen, hast du wirklich geglaubt, er würde dich gehen lassen, seine Trophäe, seine Eroberung?«
Sie wies mit einem ihrer langen, spinnenartigen Finger auf Cherubina, während sie mit der anderen Hand nach wie vor das zerfetzte Gesicht der Puppe tätschelte. Die Situation war grotesk. Mark wollte, dass es aufhörte, war aber zugleich auf schreckliche Weise fasziniert.
»Ich hätte Sie töten können, als Sie hereingekommen sind«, sagte Miss Devine in beängstigend beiläufigem Tonfall. »Nach diesen ganzen Monaten des Versuchens. Aber du hattest das Bild von ihm in dir.« Ihre Aufmerksamkeit verlagerte sich auf die Puppe, doch sie fuhr fort, ohne eine Pause einzulegen. »Zum ersten Mal spürte ich eine Seelenverwandtschaft. Wir waren beide von ihm besessen. Aber du hast versucht, dich von ihm freizumachen, und das durfte nicht sein. Du warst sein , kleines Püppchen. Das wirst du immer sein, und jetzt bist du zerfetzt.«
Etwas in ihren düsteren Worten erregte Marks Aufmerksamkeit. »Monate
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