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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Sie sie sehen, sie hat diese blonden Ringellöckchen …« Mark verstummte.
    Nick schüttelte den Kopf und zeigte ein beunruhigendes Raubtiergrinsen. »Damit habe ich nichts zu tun. Gehst du jetzt rein oder nicht?«, fragte er. »Jeder ist willkommen, aber jeder geht ohne Namen hier rein. Das ist unser Schutz gegen Spione. Aber das weißt du natürlich schon. Wer immer dir gesagt hat, wohin du gehen musst, wird es dir bereits gesteckt haben, nicht wahr?«
    Mark schluckte. Er hatte sich verraten. Nick mochte zwar ein angeheuerter Schläger sein, aber dumm war er mit Sicherheit nicht.
    »Selbstverständlich«, pflichtete ihm Mark eilig bei. »Kein Problem.«
    Mit unsicheren Schritten ging er an dem Mann vorbei, doch im nächsten Moment spürte er eine raue Hand auf seiner Schulter.
    »Keine Sorge, Junge«, sagte Nick, nun ein wenig freundlicher. »Warum du gekommen bist, spielt keine Rolle. Jeder hier fängt irgendwann mal neu an.« Aus einem Grund, der schwer zu begreifen war, fühlte sich Mark durch Nicks Versicherung noch unbehaglicher als durch seine Drohungen zuvor. Etwas an der Art, wie er es sagte, deutete darauf hin, dass dieser Neuanfang nicht unbedingt freiwillig erfolgte. Sobald man durch diese Tür ging, war man einer von ihnen.
    »Danke«, sagte Mark und trat ein.
    Zu seiner Erleichterung war der dahinter liegende Schankraum nicht ganz so finster, auch wenn er nur schummerig beleuchtet und heillos überfüllt war. Mark ging durch die Schwaden aus waberndem Tabakrauch hindurch in Richtung der Bar, wo ein dünner, sauertöpfisch dreinblickender Barmann Halbliterhumpen mit trübem Bier ausschenkte. Mark setzte sich auf einen der Barhocker, und als sich seine Ohren an das Tohuwabohu gewöhnt hatten, hörte er aus der gegenüberliegenden Seite des Raumes eine Stimme heraus.
    »… sie machen Jagd auf uns, zwingen uns dazu, uns zu verkriechen wie Ratten. Aber sollen wir uns etwa dadurch einschüchtern lassen? Pah!« Es gab ein Geräusch, als hätte jemand einen Bierkrug aus Metall auf einen Tisch geknallt. »Ich sage euch: Wenn Agora in tausend Jahren zu Staub zerfallen und auch unser letztes schönes Gebäude zerstört ist, dann werden die Ratten immer noch hier sein. Sie werden sich vermehren, bis ihre Stunde gekommen ist. Fühlt euch nicht beleidigt, wenn man euch Ratten nennt, meine Freunde. Ratten bilden eine starke Gemeinschaft; sie können nicht vernichtet werden.«
    Mark schaute zu der Ecke, wo er gerade noch die Silhouette des Sprechers ausmachen konnte.
    »Die Zeit ist nahe, meine Freunde«, fuhr die Stimme fort. »So nahe, dass wir sie schmecken können! Und dann werden es die Eintreiber bereuen, wie weit sie uns getrieben haben! Denkt daran, wenn man Rattennester zerstört, fordert man den Ärger heraus und wird gebissen!«
    Im ganzen Raum grölten die Menschen zustimmend. Eine Brise wehte durch den Rauch, jemand hob eine Laterne in die Höhe, und nun konnte Mark Crede erkennen.
    Er war hoch aufgeschossen und in Lumpen gekleidet, hatte strähniges blondes Haar und war schlecht rasiert. Vom Aussehen her war er nicht sonderlich inspirierend – er wirkte wie ein Mann, der zu viele Nächte im Vollrausch auf dem Fußboden verbracht hatte. Doch seine Haltung und seine Augen erzählten eine andere Geschichte. Jede Bewegung, jeder Blick spiegelte einen Mann wider, der vor Leidenschaft strotzte. Während Mark ihn beobachtete, fiel ihm die Geschichte ein, die Laud erzählt hatte. Es war die Geschichte des von Crede betriebenen, rivalisierenden Almosenhauses, dem Rad. Und es war die Geschichte von dem, was er bereit war zu tun, um denen, die seine Hilfe suchten, ein besseres Leben zu ermöglichen: Diebstahl, Einschüchterung, ja sogar Angriffe auf Eintreiber. Laud selbst hatte eine Tracht Prügel von Credes Schlägern verabreicht bekommen, zu denen nach Marks fester Überzeugung auch der Mann zählte, der ihn an der Tür in Empfang genommen hatte. Wenn Crede sich bewegte, bewegte sich die Menge mit ihm, gefesselt von jeder seiner Gesten. Die Menschen lauschten seiner Stimme, als hinge ihr Leben davon ab.
    »Die Eintreiber lernen bereits ihre Lektion, meine Freunde! Sie ziehen sich in ihre Stadtteile zurück, gehen nur noch Streife vor den Häusern der Oberen der Gesellschaft, damit die Reichsten sich in Sicherheit wiegen können.« Er stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus. »Bald werden sie es nicht mehr wagen einzugreifen, und dann können wir die Herrschaft über die Straßen übernehmen und für einen

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