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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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die sich zusammenrottende Menge, nicht imstande, das Bild dieses Pflastersteins aus seinem Kopf zu verdrängen. Hoffentlich hatte Nick nur vor, ihn in ein Fenster zu werfen …
    Als er das Rad erreicht hatte, überraschte es ihn nicht, dass die Tür einen Spaltbreit aufstand. Er hatte nicht die geringste Chance, das Überraschungsmoment zu nutzen. Dennoch , dachte er, während er die Tür aufstieß und in die dahinter liegende Dunkelheit trat, wenn er mir Böses wollte, wüsste ich es jetzt schon.
    Das Innere des Rads wirkte ohne Menschen, die sich bis in seine letzten Ecken drängten, weniger bedrückend, war aber dennoch dunkel und verräuchert. Die Fensterläden waren geschlossen, und der Raum wurde von dicken Talglichtern nur spärlich erhellt. Einen Moment lang dachte Mark, er wäre allein. Doch als sich seine Augen allmählich angepasst hatten, sah er Crede. Der Mann saß, die Füße auf einen Tisch gelegt, vollkommen entspannt da und starrte Mark direkt an.
    »Crede«, sagte Mark, bemüht, selbstbewusster zu klingen, als ihm zumute war. »Ich möchte mit Ihnen reden.«
    Crede winkte ihn lässig herbei. »Natürlich, natürlich«, sagte er. »Ist mir immer ein Vergnügen, mit jemandem zu reden, der so … berüchtigt ist.« Diese Bezeichnung fügte er beiläufig hinzu, so als wäre es ein Scherz. In gewisser Weise war das nervtötender, als wenn er leidenschaftlich redete. »Möchten Sie etwas trinken?«
    Mark schüttelte energisch den Kopf. Von diesem Mann würde er keinerlei Gastfreundschaft annehmen.
    »Oder vielleicht etwas, das ein wenig spezieller ist?«, schlug Crede vor, langte träge in seine Jackentasche und holte einen ledernen Zugbeutel heraus. »Kann ich Sie zu meinem eigenen, persönlichen Gift verlocken?«
    Er schüttete einige milchfarbene Kügelchen aus dem Beutel auf seine Handfläche. Mark erkannte sie sofort, obwohl er sie nicht mehr gesehen hatte, seit er sich nicht länger in der feinen Gesellschaft von Agora bewegte. Damals waren sie in Mode gewesen.
    »Nehmen Sie immer noch anderer Leute Erinnerungen ein, Crede?«, fragte Mark kühl. »Man hat mir erzählt, Sie seien abhängig gewesen.«
    Nichts auf die Beleidigung gebend zuckte Crede mit den Schultern und schob sich eine der Erinnerungsperlen in den Mund. Er schluckte sie hinunter und schloss die Augen, während er sie kostete.
    »Ich betrachte mich eher als Feinschmecker. Ah …« Er schnappte nach Luft, als die Erinnerung ihn durchfuhr. »Die Erinnerung an einen ersten Kuss. Sehr zärtlich.«
    Mark wurde übel. Er fragte sich, wie verzweifelt man sein musste, um eine so wertvolle Erinnerung zu veräußern – sie für immer wegzugeben, damit dieser Mann hier einige wenige Momente des Vergnügens genießen konnte.
    »Sie sind sonderbar still, Mr Mark«, sagte Crede, während er die Augen öffnete und den Zugbeutel wieder wegsteckte. »Warten Sie auf jemanden? Haben Sie einen Ihrer Freunde mitgebracht? Oder vielleicht Ihren Vater? Wie ich höre, behält er seinen kleinen Jungen gern im Auge.«
    Credes spöttische Bemerkung führte dazu, dass Mark die Zähne zusammenbiss. Er senkte bewusst die Stimme, als er antwortete.
    »Mein Vater weiß nicht, dass ich hier bin. Und überhaupt benötige ich für nichts, was ich tue, seine Erlaubnis.«
    Crede grinste süffisant. »Miss Cherubina ist da ganz anderer Meinung.«
    Jetzt war der Name gefallen. Auf eine seltsame Art und Weise war Mark erleichtert. Nun brauchte er das Thema nicht selbst anzuschneiden.
    »Wo ist sie?«, fragte er.
    Crede winkte lapidar mit der Hand. »Irgendwo in der Nähe, glaube ich. Ich wollte sie nicht ständig in Beschlag nehmen; so etwas würde ein Gentleman nicht tun.«
    Mark reagierte nicht auf Credes Provokation. »Ich will sie sehen«, forderte er, während er sich beherrschte. »Sofort.«
    »Es wäre eine richtige Schande, sie jetzt zu stören«, erklärte Crede und nahm die Füße vom Tisch. »Wahrscheinlich ruht sie sich aus. Sie war die halbe Nacht auf und hat mir alle möglichen erstaunlichen Dinge erzählt. Ich dachte, nachdem sie mir von dem neuen Direktor berichtet hatte, könnte mich nichts mehr verblüffen, aber …« Er schüttelte den Kopf, und ein Ausdruck echten Erstaunens spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. »Die Dinge, die Sie im Verlauf des vergangenen Jahres erlebt haben, Mr Mark … das ist einfach erstaunlich.«
    »Sie hatte kein Recht, Ihnen davon zu erzählen!«, sagte Mark lauter, als er es beabsichtigt hatte. Zu seinem Ärger hörte er,

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