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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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auf der Ladefläche aufzusetzen, aber ein Soldat der Wilden drückte mich rasch wieder hinab. Daher war alles, was ich vom Palast sah, der Himmel über mir und die oberen Stockwerke der Gebäude. Gärten zierten einige der flachen Dächer, aber keine Leute ließen sich sehen. Ich hatte keine Ahnung, an welcher Stelle der weitläufigen, eleganten Höfe ich mich befand. Als Narr von Königin Caroline hatte ich den ganzen Palast gesehen– abgesehen vom Kerker. Ich wurde von Angst ergriffen. War das nun unser Ziel?
    Das war es nicht. Der Wagen hielt an, und ein Wilder hievte mich durch eine Tür, als wäre ich nichts als ein Sack Getreide. Er warf mich auf den Boden. Ich stieß mir den Kopf und sah einen Augenblick lang nur einen Wirbel von Farben. Dann rief eine Frau: »Roger?«
    Meine Sicht klärte sich. Über mich beugte sich das breite, gerötete, völlig ungläubige Gesicht der Vorsteherin der Wäscherei, Joan Campford. Sie hatte mich trotz meines Bartes, meines Sonnenbrandes und meiner Verwahrlosung erkannt.
    »Mach ihn sauber«, sagte der Wilde; seine Worte waren wegen des breiten Akzents kaum verständlich. Ein Messer blitzte auf, und meine Fesseln waren durchschnitten. Ein Tritt mit dem Stiefel, und ich stolperte mit tauben Gliedern in ein Becken der Wäscherei, in der ich einst gearbeitet hatte. Ich schlug wild um mich, bis ich stehen konnte, bis zur Hüfte im Seifenwasser, umgeben von eingeweichten Bettlaken.
    Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, watete Joan in ihrer ganzen Leibesfülle neben mir in das Becken und reichte mir ein Stück der groben gelben Seife, die ich so gut kannte. »Roger, Junge, alles in Ordnung mit dir? Wir haben dich für tot gehalten!«
    »Sauber! Sauber!«, rief der Soldat der Wilden.
    »Halt deine Pisszunge«, sagte Joan, aber sie hatte dem Soldaten den Rücken zugewandt, und ihre Worte waren gemurmelt. Die nächsten Worte richteten sich an mich: »Sie haben alle gesagt, dass du tot bist, Junge, und lauter schreckliche Dinge– dass du eine Hexe bist, dass du ein Verräter bist, dass du… Pah! Er ist nichts als Roger, der Narr der Königin, habe ich gesagt, und davor war er Roger der Wäscher, und der beste Arbeiter, den ich je hatte.«
    »Sauber! Sauber!« Der Wilde zog sein Messer.
    Ich entledigte mich meines schmutzigen Hemds, und unter dem schaumigen Wasser und dem schwimmenden Stoff auch meiner Stiefel und Hosen und Unterwäsche. Die gelbe Seife brannte, ganz wie ich es in Erinnerung hatte. Ich sagte zu Joan: »Danke.«
    »Ich habe es ihnen gesagt, wirklich. Ich habe ihnen gesagt, dass ich gesehen habe, wie du Lord Solek getötet hast! Mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen! Du hast die… magischen Illusionen angeführt, die es vollbracht haben! Bist du jetzt also ein Gefangener? Der Junghäuptling hält den Palast.«
    »Ich weiß«, sagte ich und duckte mich unters Wasser, um mir das Haar zu schrubben. Auch um mich der weiteren Unterhaltung zu entziehen. Joan war immer freundlich zu mir gewesen, auf ihre raue Art. Sie wusste so gut wie ich, was nun mit mir geschehen würde. Wären wir in einem jener Waschbereiche gewesen, die man über den Fluss hinausgebaut hatte, hätte ich unter den Palastmauern durchschwimmen können, wie ich es schon einmal getan hatte. Aber dies war ein abgeschlossenes Becken, voller Bettlaken, und es gab keinen Fluchtweg. Als ich wieder an die Oberfläche kam, kniete Joan neben dem Becken und schrubbte meine Kleider. Ihre Augen sahen mich voller Traurigkeit ein.
    Aber die Hoffnung überlebt selbst an den Stätten größter Verzweiflung. Weshalb sollten die Wilden mich baden lassen, wenn sie mich umbringen wollten? Hatten Folterknechte so empfindliche Nasen, dass mein Gestank sie beleidigen würde, während sie sich an meinen Knochen und meinem Blut und meinen Nerven zu schaffen machten?
    Als mein Wächter befand, dass ich sauber genug war, sagte er: »Heraus! Heraus!« Ich kam heraus. Joan folgte mir und gab mir ein Handtuch. Ich zog wieder meine nassen Kleider an. Mein kleines Rasiermesser war immer noch in der Innentasche eines wassergefüllten Stiefels, aber es half mir nichts. Der Wilde fesselte mir wieder die Arme hinter dem Rücken. Dann, weil es alles war, was ich zu ihr sagen konnte, flüsterte ich Joan zu: »Lebt wohl.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, während der Wilde mich wegführte.
    Durch den Hof der Wäscherei. Dann durch den Hof der Bäder. Dann folgte Hof auf Hof– ich wusste genau, wo wir uns in jedem einzelnen

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