Das Land zwischen den Meeren
gestohlen. Ob Sie mir wohl einen ausgeben, Señor?«
Antonios Arm fühlte sich plötzlich heiß an. Er wandte sich langsam um. Sein Nachbar war ein etwa gleichaltriger Mann mit dem samtig dunklen Teint der indianischen Ureinwohner. Er war einen halben Kopf kleiner und trug ein Hemd, das eine Handbreit offen stand und ein Stück nackter, glatter Haut zeigte. Eine goldene Kette mit einem schillernden Anhänger, einem emaillierten Tukan, hing ihm um den Hals. Antonio hob sein Glas und gab dem Wirt ein Zeichen.
Die beiden Männer stießen miteinander an und tranken in kleinen Schlucken, blieben wachsam und ließen einander keine Sekunde lang aus dem Augen.
»Sind Sie öfter in der Stadt, Señor?«
Die wie beiläufig vorgebrachte Frage des Fremden beschleunigte Antonios Herzschlag. »Nein, ich bin nur heute hier, weil ich meinen Onkel aus Santiago erwarte. Aber das Schiff hat Verspätung.« Er hatte sich vorher schon eine Begründung für seinen Besuch in Puntarenas zurechtgelegt. So wie jedes Mal, und noch nie hatte er zweimal die gleiche Geschichte erzählt.
»Eine glückliche Fügung, möchte man meinen.« Der Fremde erhob sein Glas und kräuselte die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. Antonio spürte, wie die Wärme aus seinem Arm weiterwanderte, sich im ganzen Körper ausbreitete und zu einem heftigen Glühen wurde.
»Miguel«, stellte der Mann sich vor und löste nur widerstrebend die Hand von Antonios Arm.
»Ricardo.« Auch beim Namen achtete Antonio darauf, ihn möglichst nur ein einziges Mal zu verwenden. Aber wen kümmerte es, wie er hieß? Auch Miguel war nicht Miguel, sondern nur in diesem Moment, und Miguel gefiel ihm gut. Sehr gut sogar. Er wirkte stark, aber nicht zu kräftig, die Stimme hatte ein verführerisches Timbre, und in den fast schwarzen Augen las Antonio, dass sein Gegenüber Bescheid wusste und jedes weitere Wortgeplänkel Zeitverschwendung gewesen wäre.
Miguel trank den letzten Rest Guaro, verzog den Mund und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Die Luft vor Antonios Augen flirrte, er sah nur noch das verlockende Lächeln, alles andere ringsum, die Schenke und die Menschen, verschwamm in silbrigem Dunst.
Miguel löste sich vom Tresen und schlenderte zum Hinterausgang. Antonio wartete eine Viertelstunde, warf dem Wirt dann zwei Münzen zu und folgte. Er trat durch eine windschiefe Holztür und befand sich plötzlich in einem Innenhof, der zu allen Seiten von Häusern begrenzt wurde. Zwischen den Gebäuden waren Leinen mit Wäschestücken gespannt, aus einem Fenster drang Kindergeschrei, aus einem anderen waren die Stimmen eines Paares zu hören, das in einer fremden Sprache heftig miteinander stritt.
Im Dämmerlicht erkannte Antonio einen Schuppen, neben dem sich Bierfässer, Tische und Stühle stapelten. Vor dem Verschlag glimmte in Augenhöhe ein winziger Lichtpunkt. Er näherte sich zögernd, Zigarettengeruch zog zu ihm herübe r.
»Du hast mich warten lassen, Ricardo«, war Miguels vorwurfsvolle Stimme zu vernehmen. Plötzlich sah Antonio Dorotheas Gesicht vor sich. Ihr helles Haar, ihre feine Nase, ihr Lächeln, in das sich viel zu oft Wehmut mischte, Unverständnis und Traurigkeit. Seinetwegen! Er hätte dieses Bild gern verscheucht. Wenigstens jetzt, in diesem Augenblick voller Erwartung und Erregung. Doch dann wurde er auch schon gegen die Wand des Schuppens gepresst und spürte die Wucht und die Kraft eines fremden Körpers, der den seinen bereits genau zu kennen schien. Spürte Hände, die ihr Ziel fanden, auf schamlose, animalische Weise. So, wie er es sich manchmal erträumte. Wenn er nachts in seinem Zimmer schlief. Allein.
»Du sollst sofort das Pony satteln. Sonst sage ich es Großvater.«
»Aber Federico, wie sprichst du mit dem Stallburschen? Es heißt: Würdest du bitte das Pony satteln? Und was hat Großvater damit zu tun?« Mit einigem Entsetzen vernahm Dorothea die Worte ihres Sohnes, der sich mit seinen vier Jahren manchmal aufführte wie ein schlecht erzogener Halbwüchsiger. Und dabei gern Mimik und Gestik seines Großvaters nachahmte.
»Abuelo sagt, Federico muss nicht bitte sagen. Federico muss befehlen.«
Dorothea seufzte. »Bitte entschuldige, Vicente. Der Junge meint es nicht so.«
Der Stallbursche legte dem Pony den Sattel über und zurrte den Gurt fest. Ohne Hilfestellung schwang Federico sich in den Sattel und verlangte nach einer Peitsche.
»Abuelo sagt, Federico ist sein Stolz. Alle müssen auf ihn hören. Hü, hü!« Er schlug
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