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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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schob.
    »Ach, Monsieur, wie schön, dass ich Sie sehe! Hören Sie, das war ja ein wahnsinnig spannendes Buch über diesen Dorian Gray. Wie nett, ihn mir zu empfehlen, weil Glühendes Verlangen gerade aus war.«
    »Freut mich, Madame Gulliver.«
    »Ach, nennen Sie mich doch endlich Claudine. Oder wenigstens Mademoiselle, ich bin da nicht so. Also, für den Gray hab ich nur zwei Stunden gebraucht, so amüsant war es. Aber ich hätte mir an Dorians Stelle niemals dieses Bild angeschaut, das ist ja deprimierend. Und Botox gab es wohl nicht.«
    »Madame Gulliver, Oscar Wilde hat über sechs Jahre daran geschrieben, er wurde wegen dieses Werks verurteilt und starb wenige Zeit später. Hätte er nicht ein wenig mehr verdient als nur zwei Stunden Ihrer Zeit?«
    »Ach, papperlapapp, davon wird er auch nicht mehr froh.«
    Claudine Gulliver. Eine unverheiratete Mittvierzigerin mit rubenshaften Ausmaßen, Protokollantin in einem großen Auktionshaus. Sie hatte täglich mit viel zu reichen, viel zu gierigen Sammlern zu tun. Eine eigene Art der Spezies Mensch. Madame Gulliver sammelte ebenfalls Kunstwerke, vorwiegend solche mit Absätzen und in Papageienfarben. Ihre Pantolettensammlung umfasste einhundertsechsundsiebzig Paar und wohnte in einem eigenen Zimmer.
    Eines von Madame Gullivers Hobbys bestand darin, Monsieur Perdu aufzulauern und ihn zu einem ihrer Ausflüge einzuladen, von ihrem neuesten Fortbildungskurs zu erzählen oder von den Restaurants, die in Paris täglich neu eröffnet wurden. Madame Gullivers zweites Hobby waren Romane, in denen sich die Heldinnen an die breite Brust eines Schurken pressten und sich so lange sträubten, bis er sie mannhaft über… tja, …mannte.
    Nun zwitscherte sie: »Sagen Sie, kommen Sie heute Abend mit zu …«
    »Nein, das möchte ich lieber nicht.«
    »Nun hören Sie doch erst mal zu! Zum Dachboden-Fest an der Sorbonne. Lauter langbeinige Kunststudentinnen, die nach dem Examen ihre Wohngemeinschaften auflösen und Bücher, Möbel und, wer weiß, ihre Liebhaber zum Trödel geben.«
    Die Gulliver ließ ihre Augenbrauen kokett nach oben wandern. »Na?«
    Er stellte sich vor, wie junge Männer neben Standuhren und Kisten voller Taschenbücher kauerten, mit einem Zettel am Kopf: »Einmal gebraucht, wie neu, kaum Spuren. Herz geringfügig renovierungsbedürftig.« Oder auch: »Aus dritter Hand, Grundfunktionen intakt.«
    »Das möchte ich wirklich ganz und gar nicht.«
    Madame Gulliver seufzte tief auf.
    »Herrje. Sie möchten nie etwas, ist Ihnen das schon mal aufgefallen?«
    »Das ist …«
    Wahr.
    »… nicht gegen Sie gerichtet. Wirklich nicht. Sie sind bezaubernd, mutig und … äh …«
    Ja, er mochte die Gulliver auf eine Art. Sie nahm sich das Leben mit vollen Händen. Mehr, als sie vermutlich brauchte.
    »Und sehr nachbarschaftlich.«
    Himmel. Er war dermaßen aus der Übung, einem weiblichen Wesen etwas Nettes zu sagen! Madame Gulliver begann, hüftenschwingend die Treppe abwärtszustöckeln. Klack-schlapp, klack-schlapp machten ihre maisgelben Pantoletten. Als sie auf seiner Höhe war, hob sie ihre Hand. Sie bemerkte, dass Perdu zurückwich, als sie ihn am kräftigen Oberarm berühren wollte, und legte ihre Hand resigniert auf das Treppengeländer.
    »Wir werden beide nicht jünger, Monsieur«, sagte sie leise und rauh. »Unsere zweite Hälfte hat längst begonnen.«
    Klack-schlapp, klack-schlapp.
    Unwillkürlich griff sich Perdu ins Haar, dort, am Hinterkopf, wo viele Männer diese demütigende Tonsur bekamen. Noch war’s bei ihm nicht so weit. Ja, er war fünfzig. Keine dreißig. Das dunkle Haar war silberner. Das Gesicht schraffierter. Der Bauch … Er zog ihn ein. Ging noch. Die Hüfte machte ihm Sorgen; es wurde jedes Jahr eine kleine Schicht mehr. Und er konnte auch nicht mehr zwei Bücherwannen auf einmal tragen, verflucht. Aber das alles war irrelevant; Frauen taxierten ihn nicht mehr – bis auf Madame Gulliver, aber die sah jeden Mann so an, als möglichen Liebhaber.
    Er schielte nach oben, ob jetzt noch Madame Bomme ihn auf dem Treppenabsatz in eine Diskussion verwickeln würde. Über Anaïs Nin und ihre sexuellen Obsessionen, lautstark, weil sie ihr Hörgerät in einer Pralinenschachtel verlegt hatte.
    Perdu hatte einen Leseclub für die Bomme und die Witwen aus der Rue Montagnard organisiert, die so gut wie nie von ihren Kindern und Enkeln besucht wurden und vor ihren Fernsehern vertrockneten. Sie liebten Bücher; mehr noch war die Literatur allerdings ein Vorwand,

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