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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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zurückgekommen. Eine Spannkraft. Eine Sensibilität. Lust.
    An manchen Tagen, wenn er auf einer Mauer saß, hinter dem Hafen, und auf das offene Meer sah oder las, dann reichte nur die Wärme der Sonne, um ihn unter eine angenehme, ziehende, unruhige Spannung zu setzen. Auch dort schüttelte sein Körper die Traurigkeit ab.
    Er hatte seit zwei Jahrzehnten mit keiner Frau geschlafen.
    Er hatte solche Sehnsucht, es zu tun.
    Jean erlaubte seinen Gedanken, zu Catherine zu wandern. Er spürte sie immer noch unter seinen Händen, wusste, wie sie sich anfühlte, ihr Haar, ihre Haut, ihre Muskeln.
    Jean malte sich aus, wie sich ihre Schenkel anfühlen würden. Ihre Brust. Wie sie schauen und keuchen würde. Wie sie einander näher kamen mit Haut und Ich, wie sich Bauch an Bauch drückte, Freude an Freude.
    Alles stellte er sich vor.
    »Ich bin wieder da«, flüsterte er.

    Während er vor sich hin lebte und aß und schwamm und Bücher verkaufte und Wäsche in der neuen Waschmaschine zum Schleudern brachte – da war auf einmal die Stunde gekommen, in der etwas in ihm einen weiteren Schritt tat.
    Einfach so. Am Ende der Ferien, am achtundzwanzigsten August.
    Eben saß er noch über seinem Mittagssalat und überlegte, ob er für Manon in der Kapelle Notre Dame de Pitié eine Kerze anzünden sollte oder doch von Port Issol aus ins Meer hinausschwimmen.
    Aber dann bemerkte er, dass da nichts mehr in ihm war, das wütete. Brannte. Nichts mehr, das ihm die Tränen des Entsetzens und des Verlustes in die Augen trieb.
    Er stand auf und ging unruhig auf die Terrasse.
    Konnte das sein?
    Konnte das wahrhaftig sein?
    Oder spielte ihm die Trauer nur einen Streich und würde gleich zur Vordertür wieder hereinstürmen?
    Er war am Boden seines sauren, traurigen Seelenkummers angelangt. Er hatte geschöpft und geschöpft und geschöpft. Und auf einmal – war da wieder Platz.
    Rasch lief er hinein. Neben der Anrichte lagen immer Stift und Papier. Jetzt schrieb er, ungeduldig:

Catherine,
ich weiß nicht, ob wir gewinnen werden und einander niemals weh tun. Vermutlich nicht, denn wir sind Menschen.
Aber was ich jetzt, in diesem Augenblick, den ich so ersehnt habe, weiß, ist, dass ein Leben mit dir mich besser einschlafen lässt. Und aufwachen. Und besser lieben.
Ich will für dich kochen, wenn du schlechte Laune bekommst vor Hunger, jede Sorte Hunger, Lebenshunger, Liebeshunger, und bei Licht- und Meer- und Reise- und Lese- und Schlafhunger auch.
Ich will dir die Hände cremen, wenn du zu viel rauhen Stein berührt hast – ich träume von dir als Steinretterin, die die Herzensflüsse unter den Steinschichten sehen kann.
Ich will dir nachsehen, wie du einen Sandweg entlanggehst, dich umdrehst und auf mich wartest.
Ich will all die kleinen und die großen Dinge: Ich will mit dir streiten und mittendrin darüber lachen, ich will an einem kalten Tag Kakao in deine Lieblingstasse gießen, und ich will dir die Autotür aufhalten nach einer Party mit netten, fröhlichen Freunden, wenn du glücklich in den Wagen steigst.
Ich will spüren, wie du deinen kleinen Po an meinen warmen Bauch drückst.
Ich will tausend kleine und große Dinge mit dir, mit uns, du, ich, wir zusammen, du in mir und ich in dir.
Catherine, ich bitte dich: Komm! Komm bald! Komm zu mir!
Die Liebe ist besser als ihr Ruf.
Jean.
PS: Wirklich!

40
    A m vierten September machte sich Jean früh auf den Weg, um trotz seines üblichen Spaziergangs über die Rue de Colline und rund um den Hafen des Fischerdorfs rechtzeitig in der Buchhandlung zu sein.
    Bald kam der Herbst und brachte die Kunden, die lieber Bücherburgen als Sandburgen bauten. Schon immer seine Lieblingssaison. Neue Bücher, das verhieß neue Freundschaften, neue Einsichten, neue Abenteuer.
    Das heiße Licht des Hochsommers wurde im Angesicht des baldigen Herbstes milder. Lieblicher. Es schirmte Sanary wie ein Schleier vom ausgetrockneten Hinterland ab.
    Er frühstückte abwechselnd im Lyon, im Nautique und im Marine am Hafen. Natürlich sah es hier längst nicht mehr so aus wie zu den Zeiten, als Brecht seine Spottlieder auf die Nationalsozialisten vorgetragen hatte. Und doch: Einen Hauch Exil spürte er. Die Cafés waren für ihn Inseln des wohltuenden Trubels in seinem Alleinleben mit Kater Psst. Die Cafés waren ein bisschen Familienersatz und ein Hauch Paris. Sie waren Beichtstuhl und Pressehaus, wo man genau erfuhr, was hinter den Kulissen von Sanary los war, wie der Fischfang in der Algenzeit lief oder wie sich

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