Das Leben dahinter (German Edition)
gefühlt, seit sie die Einrichtung zum ersten Mal betreten hatte. Das war vielleicht vor acht, vielleicht vor neun Monaten. Er wusste es nicht genau, denn sein Zeitgefühl litt auf der Erde sehr. Sie war ihm damals mit ihren sechsundzwanzig Jahren so jung, so naiv und so leicht zu begeistern vorgekommen. Beispielsweise, dass sie dem, nach seiner Meinung, tristesten und sinnlosesten Job der Organisation tatsächlich noch Spannung abgewinnen konnte, grenzte für ihn an Debilität. Aber sie konnte sich dafür auf überzeugende Art und Weise begeistern und bald übernahm sie wesentlich mehr Projekte, Auswertungen und Erkundungen, als jemals von ihr erwartet worden waren. Sie trat sogar irgendwann als die inoffizielle Leiterin der Analytik vor deren Mitarbeitern auf, wertete Daten aus, schrieb Berichte und verteidigte diese vor der Organisation. Und niemanden schien es zu stören, nicht einmal den tatsächlichen Leiter ihrer Abteilung.
Sie knüpfte schnell Kontakte, was sicher für eine hübsche junge Frau ein ziemlich natürlicher Vorgang war, trotzdem war sie erstaunlich vorsichtig und konnte bei Personen, die ihr nicht in den Kram passten oder die ihr suspekt erschienen, in angemessenem Rahmen durchaus unwirsch werden und solche für sich selbst aussieben. Das hatte Johannson beeindruckt, genauso wie ihre Menschenkenntnis, denn sie hatte dieselben Ansprüche an ihr Gegenüber wie er auch und konnte intuitiv ebenfalls herausfiltern, was sie von anderen zu erwarten hatte und wer innerhalb ihrer eigenen Gedankenwelt agierte und wer nicht. Johannson mochte sie deshalb sofort und nahm sie schnell unter seine Fittiche. Obwohl er nie ein Vater gewesen war, hatte er dadurch zum ersten Mal eine gute Vorstellung wie das sein musste.
Und nun hatte er bei dieser selbstgestellten Aufgabe versagt, war unfähig gewesen, sie vor sich oder dem Objekt zu schützen. Die Szene lief immer wieder vor seinem geistigen Auge ab, doch er erkannte nicht, was er vielleicht hätte tun können. Es war nicht seine Schuld, doch davon konnte er sich selbst nur schwerlich überzeugen.
Er klopfte sich Schnee vom Mantel, der in solch rauen Mengen davon abfiel, dass er inzwischen wohl einem Schneemann geglichen hatte. Kurz schoss ihm durch den Kopf, ob ihm wohl eine Karottennase stehen würde und er kicherte. Es klang für ihn ein wenig irre. Er fragte sich, ob es ein erstes Symptom eines Traumas war, dessen Ursache ihn vor wenigen Minuten ereilt hatte und das ihn nun für den Rest seines Lebens verfolgen würde. Doch er beschloss, dass, solange er sich selbst noch diese Frage stellen und sich an das geschehene Ereignis noch so genau erinnern konnte , wie er es tat, dafür momentan noch kein Anhaltspunkt vorhanden war.
Nun endlich erhob er sich langsam, weiter seinen Mantel und die Kapuze abklopfend. Zuletzt schüttelte er sich wie ein nasser Hund, wobei sich kurzzeitig eine weiße Wolke um ihn bildete, dann stapfte er langsam zurück zu den beiden Mantas. Sie waren noch nicht eingeschneit, zu warm waren ihre Oberflächen. Ihm fiel auf, dass es doch verdammt kalt war, er schlug die Arme um seinen Oberkörper und stapfte weiter, wobei er sich immer wieder zu den zwei Hügeln umblickte – dem letzten Ort, an dem er Alka gesehen hatte.
Er erklomm Manta 10 – ihren Manta – um zu versuchen, Kontakt zu Frank Pauli aufzunehmen. Kleine Wasserpfützen vom fallenden Schnee hatten sich in den Vertiefungen gesammelt, doch das störte ihn nicht, als Johannson sich hineinkniete. Das Hintergrundrauschen war vorhanden und sagte ihm, dass der Kanal noch offen sein dürfte. Nach einiger Prüfung der Einstellungen, die Alka vorgenommen hatte, konnte er den Sender auf seiner Seite aktivieren. Das Rauschen verstummte.
„Frank?“, fragte er leise und überlegte gleichzeitig , wie er das Gespräch beginnen sollte. Er wusste, dass Frank Alka etwas mehr als freundschaftlich oder kollegial gegenüber stand. In seiner Redseligkeit hatte er doch des Öfteren Andeutungen zu diesem Thema gemacht und schwärmerisch von dieser „wunderbar erfrischenden Frau“ gesprochen.
Doch es schien , als musste Johannson sich diesem Gespräch noch nicht stellen.
„Frank? Sind Sie da?“ Das Rauschen war ganz eindeutig zu hören, es war viel lauter als der umgebende Wind. Doch es kam keine Antwort hindurch. Johannson starrte auf die Anzeige unter seiner rechten Hand, als sich zu den zuckenden schwachen Schatten, die die Fackel auf die Armaturen malte, ein klar definierter schwarzer
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