Das Leben dahinter (German Edition)
sicher – zumindest kein Mensch. Eine düstere Flut wälzte sich langsam über den Planeten.
D ie übrige Flora und Fauna empfand sie zwar allenfalls als lästigen Mückenschwarm, der durch das Land zog und die Natur sonst in Ruhe ließ, sobald diese Insekten jedoch einen Menschen – und nur einen Menschen – ausmachten, war er Futter. Sie machten dabei keinen Unterschied zwischen Babys, Kranken oder Alten, zwischen Laufenden, Hinkenden, Sitzenden, Liegenden, Stehenden, Fahrenden oder Fliegenden; alles mit dem biologischen Etikett Mensch wurde in wenigen Sekundenbruchteilen in eine ungefährliche, weiße Biomasse umgewandelt, die – je nach Populationsdichte – teilweise bald millimeterdick den Planeten bedeckte. Die Bevölkerungszahlen hatten in den Jahrhunderten seit der Besiedlung enorm zugenommen. Inzwischen hatte es wieder mehr als 50 Millionen Menschen auf Wad’Akh’Wian gegeben. Die Tendenz war allerdings im Moment wieder rapide fallend…
Viele wollten der drohenden Gefahr in Kellern und hermetisch abgeriegelten Räumen entkommen. Oder in Unterwassereinrichtungen. Der Informationsfluss durch das Netz war ja glücklicherweise noch schneller als die Tiere. Man war gewarnt. Man wähnte sich bereits in Sicherheit, wenn der Schwarm an den Beobachtungsposten vorbeizogen war. Atmete durch, wenn das Bild nicht mehr von unendlich vielen, winzigen Leibern verdunkelt wurde. Man feierte das eigene Überleben der Apokalypse. Doch man feierte es zu früh. Die Tiere waren extrem anpassungsfähig, konnten falls nötig auch durch dickste Wände eindringen, gruben sich in separaten Schwärmen durch den Boden oder wurden plötzlich zu ausgezeichneten Schwimmern. Manchmal erschienen sie wie aus dem Nichts in einem Raum und begannen ihr tödliches Werk. Wo auch immer sich Homo Sapiens befand, sie fanden ihn, egal wie gering ein Lebenszeichen war. Sie waren für ihre Aufgabe perfekt gerüstet, fraßen sich nicht nur über den Planeten hinweg, sondern sich quasi durch ihn hindurch. Kleinste Öffnungen genügten, um zum Ziel zu gelangen, und wo keine waren, schufen sie sie einfach selbst oder überbrückten Barrieren.
Einige Menschen sahen den Schwarm nicht einmal kommen, hatten die panischen Veröffentlichungen im Netz nicht verfolgt. Es war für sie einfach schlagartig vorbei, noch während sie ihren Rasen pflegten oder sich im Pool vergnügten, sich liebten oder in einer Vorlesung schwitzen. Niemand konnte entkommen, während sich die schwarze Wolke aus Insekten über dem Planeten ausbreitete.
Immermann s letzter Gedanke, bevor er verspeist wurde, war: Wir hätten doch nur ein wenig mehr Zeit gebraucht. Dann waren die Tierchen durch die Lüftungsanlage in den Raum eingedrungen. Er spürte nur ein Kribbeln am ganzen Körper, während er sich auflöste. Es war nicht einmal schmerzhaft.
Kimya und Ayumi hatten wohl den angenehmsten Tod, denn er ereilte sie während einem ihrer vielen Höhepunkte.
Nick versuchte erfolglos zu entkommen. Sie fraßen ihn auf offener Straße.
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Pauli beobachtet die Nahaufnahmen der Planetenoberfläche. Gelegentlich konnte die Sonde noch Menschen ausmachen, die versuchten vor diesen unheimlichen, schwarzen Wolken davonzulaufen. Doch es war zwecklos, die Wolken viel zu schnell.
Mehrere Standardstädte waren in einer Draufsicht eingeblendet – einige bereits leergefegt, andere angefüllt mit Panik und Hoffnungslosigkeit.
Und Pauli konnte plötzlich auch die Stadt Neu Berlin von oben erkennen. Es war die Stadt, in der seine Eltern lebten. Zunächst konnte er dort noch viele, viele Köpfe erkennen, die durch die Straßen rannten. Dann folgte ein Anblick, den er in den letzten Minuten bereits viel zu oft gesehen hatte; die schwarze Wolke zog über das Bild hinweg, danach war keine einzige Person mehr zu sehen. Weiße Schwaden hingen stattdessen in der Luft.
Sie waren fort ! Auch wenn Pauli nicht genau wusste, was passierte, wusste er, dass seine Eltern und sein Bruder Daniel weg waren. Auch sein Onkel, seine Tante und seine Großmutter. Ohne, dass er sie noch einmal hatte sprechen oder sehen können.
Er hatte nicht bemerkt wie Johannson ohnmächtig vor ihm zusammengebrochen war. Der Käpt’n schrie irgendetwas und jemand stieß Pauli kurz darauf beiseite und beugte sich zu Johannson herunter, der dort mit geschlossenen Augen auf dem Boden lag.
Wenn er doch nur irgendetwas verstehen würde… Doch Pauli begriff kein einziges Wort mehr. Auch nichts mehr von dem, was um ihn herum
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