Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
und ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er Syl auch schon an sich gezogen. Im ersten Moment leistete sie Widerstand, doch dann erwiderte sie die Umarmung und gab ihm einen Schmatzer auf die Wange.
»Ist das zu fassen?«, fragte Dad. »Mein Sohn ist verheiratet.«
»Meinen Glückwunsch«, sagte der ältere der beiden anderen Männer und schüttelte Matt die Hand. »Das sind ja tolle Neuigkeiten. Hal hat viel von dir erzählt, aber mit einer Schwiegertochter hatte er wohl nicht gerechnet.«
»Stammst du hier aus der Gegend, Syl?«, fragte Dad. »Bist du mit Matt zur Schule gegangen?«
»Nein«, sagte Syl. »Wir haben uns nicht weit von hier kennengelernt.«
»Das ist toll«, sagte Dad. »Lisa, Darling, ist das zu glauben? Matt hat geheiratet.«
»Und ihr habt euer Baby bekommen«, sagte Matt.
»Ein Junge«, sagte ich. »Gabriel.«
»Ich hab einen kleinen Bruder?«, sagte Jon. »Wow.«
Dad lachte. »Alles ist wow«, sagte er. »Ach, entschuldigt. Ich hab euch ja noch gar nicht vorgestellt. Das liegt nur daran, dass … Ach, ihr wisst schon. Laura und ihr anderen auch, das ist Charlie Rutherford, und das sind Alex und Julie Morales. Und wie ihr euch sicher schon gedacht habt, ist das hier Laura, die Mutter meiner wunderschönen Kinder Matt, Miranda und Jon. Und das ist Syl, meine unerwartete Schwiegertochter.«
Da standen wir nun, zu elft, dicht gedrängt im Wintergarten. Sollte Alex Morales es vorher für warm gehalten haben, so war es jetzt, durch unsere Körperwärme und den penetranten Fischgeruch, nahezu unerträglich geworden.
»Es dauert eine Weile, bis das Wasser kocht«, sagte Mom. »Bitte, setzt euch doch. Miranda, holst du Becher und Teebeutel?«
Ich ging in die Küche. Julie, das Mädchen, folgte mir. »Ich helf dir«, sagte sie. Ich gab ihr ein paar Becher, die sie ins Zimmer brachte.
Mom verwendet ihre Teebeutel immer mehrmals. Inzwischen war trotzdem nur noch ein halbes Dutzend übrig. Und davon würden wir jetzt fünf verbrauchen.
Ob Dad erwartete, dass wir all diese Leute mit Essen versorgten? Klar, Lisa und er hatten Anspruch auf alles, was wir ihnen geben konnten. Aber die anderen waren Fremde für uns. Und dann auch noch an einem Donnerstag. Wenn wir ihnen so viel abgeben würden, wie wir selbst normalerweise aßen, hätten wir schon am Samstag keine Lebensmittel mehr.
Ich glaubte zu sehen, wie Alex Julie einen raschen Blick zuwarf. »Julie und ich nehmen nur heißes Wasser«, sagte er, während er Dad einen der Becher weiterreichte.
»Das ist nur abgekochtes Regenwasser«, sagte Mom.
»Aber in einer Tasse«, sagte Julie. »Und in einem warmen Raum.«
Charlie lachte. Sein dröhnendes Weihnachtsmannlachen verbreitete sofort eine gemütliche Stimmung. »Da sehen Sie, wie leicht wir zufriedenzustellen sind«, sagte er. »Sie sind sehr freundlich, Mrs Evans.«
»Nennen Sie mich Laura, bitte«, sagte Mom. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr anbieten. Miranda, hol doch mal den Zitronenextrakt. Damit das Wasser wenigstens ein bisschen Geschmack bekommt.«
Ich rannte in die Küche, fand das Fläschchen und kehrte in den Wintergarten zurück. Dabei stieß ich mit Alex zusammen und lief feuerrot an, während ich mich entschuldigte.
»Meine Schuld«, sagte er. »Ich war dir im Weg.«
Ich musterte ihn unauffällig von der Seite. Er erinnerte mich ein bisschen an Syl – so, als wäre er immer schon dünn gewesen, als wäre sein Körper daran gewöhnt. Seine Augen waren dunkelbraun, fast schwarz. Früher mochte ich lieber Jungs, die etwas athletischer gebaut waren, aber auch ich sah, dass er unter normalen Umständen ziemlich attraktiv gewesen wäre.
Aber die Umstände sind nicht normal. Und obwohl ich es kaum fassen konnte, dass so ein Typ in meinem Wintergarten gelandet war, fand ich Dads Rückkehr doch wesentlich aufregender.
»Wie geht es Grandma?«, fragte ich. »Seid ihr bei ihr gewesen?«
»Und deine Eltern, Lisa?«, fragte Mom. »Alles in Ordnung?«
Lisa hatte das Baby gestillt und klopfte ihm jetzt sanft auf den Rücken.
»Lass mich mal«, sagte Charlie und Lisa reichte ihm Gabriel hinüber.
»Wir sind nie im Westen angekommen«, sagte Dad. »Wir wissen es nicht.«
»Es war grauenvoll«, sagte Lisa. »Wir sind von einem Evakuierungslager zum nächsten gefahren, solange ich das noch konnte. Dann kam diese Grippewelle. Und als die Quarantäne endlich wieder aufgehoben wurde, war ich so hochschwanger, dass ich nicht mehr reisen konnte.«
»Alle haben sich bemüht«, sagte
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