Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
Kleine und mein Schwager Charlie. Kann doch keiner nachprüfen.«
»Aber warum sollten sie dir glauben?«, fragte Matt. »Ich war immerhin dabei, um mich für Syl zu verbürgen.«
»Dann nehm ich eben einen von euch mit«, sagte Dad. »Miranda? Würdest du mitkommen und bezeugen, dass ich Bob Nesbitt bin?«
»Hal, ich hab die Kinder nicht zum Lügen erzogen«, sagte Mom.
»Nein«, sagte Dad. »Aber auch nicht zum Verhungern, oder?«
»Ich kann das gern machen«, sagte ich schnell. Ich konnte es nicht haben, wenn Mom und Dad aufeinander losgingen. »Wenn Syl einen Anspruch darauf hat, wüsste ich nicht, warum Dad keinen haben sollte. Und ich fänd’s toll, wenn ihr alle bei Mrs Nesbitt wohnen würdet.«
»In der Küche steht ein Ofen«, sagte Matt. »Da braucht ihr Holz. Und Heizgeräte.«
»Wir können doch noch welche suchen«, sagte ich. »Und Toilettenpapier und was sie sonst noch brauchen. Ach Mom, es wäre so schön, wenn Dad hierbleiben könnte.«
»Wo wohnt denn Mrs Nesbitt?«, fragte Alex, während Julie genau gleichzeitig fragte: »Wer ist denn Mrs Nesbitt?«
Darüber mussten wir wieder lachen. »Sie war unsere Nachbarin«, erklärte Matt. »Ihr Haus ist gleich das nächste in der Straße. Man kann es von hier aus nicht sehen, aber es gibt einen Pfad zwischen den Bäumen, der zu ihr rüberführt.«
»Dann sind wir uns also einig?«, fragte Dad, obwohl das eigentlich keine Frage war. »Miranda und ich fahren am Montag in die Stadt und sehen zu, ob wir Lebensmittel bekommen. Ein paar Tage müssen wir noch hierbleiben, bis das Haus von Mrs Nesbitt hergerichtet ist. Sollten wir tatsächlich etwas zum Essen bekommen, können wir vielleicht auch Alex und Julie überreden, noch etwas länger zu bleiben.«
»Bitte, Alex«, sagte Julie.
»Wir werden sehen«, sagte Alex.
Julie lächelte. Da verstand ich auf einmal, warum Jon sie so gernhat: Ihr Lächeln lässt einen alles vergessen, was im vergangenen Jahr passiert ist.
»Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert«, sagte Mom. »Wenn Miranda dazu bereit ist.«
»Bin ich, Mom«, sagte ich. Aber ich glaube kaum, dass mein Lächeln irgendwen irgendwas vergessen ließ.
4. Juni
Heute war ich gerade mal wieder dabei, in meinem Zimmer nach dem absolut sichersten Versteck für meine Tagebücher zu suchen, als es klopfte und ich Alex leise fragen hörte: »Miranda?«
Obwohl ich nichts angerührt hatte und meine Tagebücher noch genauso gut oder schlecht versteckt waren wie vorher, wurde mir sofort klar, dass ich unbedingt einen besseren Platz für sie finden musste. Das heißt, es wurde mir klar, nachdem ich mich von dem Schreck erholt hatte, eine fremde Männerstimme zu hören.
»Ja?«, antwortete ich, was nicht ganz so freundlich rauskam, wie es sollte. »Ich meine, hi, Alex. Was gibt’s?«
Er blieb auf der Schwelle stehen, bis ich ihn hereinwinkte.
»Ich hoffe, ich stör nicht«, sagte er. »Aber ich wollte dich fragen, ob du Julie vielleicht ein paar Sachen zum Anziehen leihen könntest. Nur solange wir noch hier sind.«
»Na klar«, sagte ich. »Julie ist zwar kleiner als ich, aber das kriegen wir schon hin.« Syl hatte schon die eine Hälfte meiner Garderobe, da konnte Julie auch noch die andere bekommen.
»Danke«, sagte er. »Das wird sie sehr freuen.«
»Soll ich Matt mal fragen, ob er dir ein paar Sachen gibt?«, fragte ich. Warum sollte ich hier als Einzige nackt rumlaufen müssen?
»Das wär toll, danke«, sagte Alex. »Nur für ein paar Tage, bis Julie sich wieder erholt hat.«
»Keine Eile«, sagte ich. »Ich schau mal, was ich finde.«
Alex sah sich im Zimmer um. »Du hast viele Bücher«, stellte er fest.
»Na ja, geht so«, sagte ich. »Die meisten von ihnen hab ich schon dreimal gelesen.«
»Ich vermisse es zu lesen«, sagte er und zog mein Exemplar von Stolz und Vorurteil aus dem Regal. »Und nutzlose Dinge zu lernen. Latein. Analysis.«
»Ich vermisse meine Freunde«, sagte ich. »Freunde, Familie, Futter. Die drei Fs.« Ich lächelte, aber Alex lächelte nicht zurück.
»Ich vermisse mein Zuhause«, sagte er. »Und dieses Gefühl, wenn man an seinem Arbeitsplatz in der Bibliothek sitzt – dass nichts auf der Welt so wichtig ist wie das Buch, das man gerade liest.« Er stellte Stolz und Vorurteil wieder ins Regal zurück. »Und meinen Stolz vermisse ich auch. Obwohl Hochmut eine der sieben Todsünden ist.«
»Auf etwas stolz zu sein, ist doch keine Sünde«, sagte ich mit einem Blick auf meine Eislaufpokale. »Nicht, wenn
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