Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
es bemerkte. »Dad, Alex und Onkel Charlie sind draußen«, sagte sie. »Mit Matt. Falls Sie mit ihnen sprechen wollen.«
»Ich sag ihnen kurz Hallo, bevor ich wieder verschwinde«, sagte Mr Danworth. »Aber ich staune immer noch über dieses Baby. Bob und Miranda haben mir von ihm erzählt. Aber bevor ich ihn nicht selbst gesehen hatte, konnte ich es, offen gestanden, kaum glauben. Ein Baby hier in Howell. Das gibt Hoffnung.«
»Möchten Sie ihn mal halten?«, fragte Lisa. »Gabriel ist an Fremde gewöhnt, dem macht das nichts aus.«
»Darf ich?«, fragte Mr Danworth. Er bückte sich und nahm Gabriel auf den Arm. Und Gabriel, der jedes Mal losbrüllt, wenn er mich nur sieht, lächelte Mr Danworth an und fasste nach seiner Brille, um damit zu spielen.
Mom, Lisa und Julie strahlten, als hätte Gabriel soeben den Mond an seinen Platz zurückgeschoben. Sogar Jon grinste.
»Du bist ja wirklich ein Prachtbursche, was?«, sagte Mr Danworth. »Wer weiß, ob ich nicht gerade den zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten auf dem Arm halte? Würde mich kein bisschen überraschen.«
Gabriel gab ein gurgelndes Geräusch von sich, das wie Zustimmung klang, und alle lachten. Alle außer mir.
Denn mir wurde zum ersten Mal so richtig klar, was für eine Zukunft Gabriel vor sich hat. So wie ihn musste es doch auch noch andere Babys geben. Aber wie viele von ihnen werden das nächste Jahr überleben? Die nächsten zehn Jahre? Ich habe sechzehn gute Jahre gehabt und dann ein schreckliches. Für Gabriel, für alle Gabriels dieser Welt, wird das ganze Leben so sein wie mein eines, schreckliches Jahr. Nur dass ich vorher die guten Jahre hatte, die mir geholfen haben, das alles durchzustehen. Was wird ihnen helfen?
Jetzt begriff ich endlich, warum Mom bereit war, für das Kind ihres Exmannes so viele Opfer zu bringen. Gabriel ist ja nicht nur Dads Sohn. Er ist Dads Zukunft. Die von Lisa. Er ist unser aller Zukunft. Sogar die von Mr Danworth. Jeder Tag, an dem Gabriel lebt und ein bisschen größer und stärker wird, ist ein Wunder.
Ich stand da, und es war echt dämlich, aber die Tränen strömten mir nur so übers Gesicht.
Schließlich war es Julie, die auf mich zukam und den Arm um mich legte. »Ist schon okay«, sagte sie. »Du darfst ihn auch lieb haben.«
8. Juni
Mom ist dermaßen glücklich, dass Jon bereit ist, etwas zu lernen, dass sie angefangen hat, ihn und Julie zu unterrichten. Alex findet es offenbar gut, dass Julie wenigstens irgendeine Art von Unterweisung bekommt. Und seit Dad und Charlie da sind, wird Jon auch nicht mehr beim Holzhacken gebraucht.
Mom hat Syl und mich gefragt, ob wir nicht mitmachen wollen, aber wir haben beide kein Interesse an Algebra. Lisa und Syl lesen jetzt oft zusammen in der Bibel, abends setzen sich Dad und Charlie dazu.
Also bot ich mich freiwillig an, das Haus von Mrs Nesbitt zu putzen. Diese Familienidylle ging mir langsam auf die Nerven.
Das Haus von Mrs Nesbitt sauber zu machen, ist ganz schön viel Arbeit. Morgen werde ich um weitere Freiwillige bitten. Aber für einen Tag, dachte ich mir, wäre es ganz nett, mal allein zu sein. Laut Plan sollen Dad, Lisa und Gabriel in der Küche schlafen, weil dort der Ofen steht. Alex und Charlie übernachten im Wohnzimmer, Julie im Esszimmer. Wenn Alex und Julie wieder aufbrechen, soll Charlie ins Esszimmer ziehen, weil es dort wärmer ist.
Aber inzwischen will nicht mal mehr Mom die beiden weglassen, weil sie weiß, dass Jon dann wieder Holz hacken muss und sie ihn mit Sicherheit nie mehr zum Lernen kriegt. Außerdem hofft sie bestimmt darauf, dass Alex’ gutes Benehmen auf mich abfärben wird.
Ich weiß nicht, wie ich es fände, wenn sie bleiben würden. Es tut immer noch weh, wenn ich sehe, wie Dad sie ansieht. Mit welcher Liebe und welchem Stolz. Nicht, dass er Matt, Jon und mich anders anschauen würde. Sogar Syl betrachtet er mit dem gleichen Blick. Er liebt uns alle gleichermaßen.
Aber ich finde, uns sollte er mehr lieben. Einfach so. Wir sind seine Kinder, nicht Alex und Julie.
Aber dann beobachte ich, wie Alex und Julie sich leise unterhalten oder Schach spielen, und ich weiß, dass jemand, der Matt mit Jon oder mir so sehen würde – das heißt den Matt vor Syl – , dass der uns bestimmt genauso ins Herz schließen würde. Wenn wir drei, Matt, Jon und ich, nur noch uns hätten und keine Eltern mehr, dann würde es uns sicher auch sehr, sehr viel bedeuten, wenn jemand die Hand ausstreckt und uns in seiner Familie
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