Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
sagte Lisa. »Der Rest von euch tut nur so. Allein Julie kann nachvollziehen, was ich durchmache, weil ich bis heute nicht weiß, ob meine Familie noch lebt.«
»Tut mir leid, Lisa«, sagte Alex. »Aber ich muss sie mitnehmen. Hal, können wir jetzt fahren?«
»Ja, es wird Zeit«, sagte Dad. »Lisa, Liebes. Heute Abend bin ich wieder zurück. Spätestens morgen.« Er gab ihr und Gabriel einen Kuss, umarmte Charlie und schob Julie dann halb vor sich her aus dem Haus. Alex übernahm die andere Hälfte des Schiebens.
Ich hätte erwartet, dass Julie weinen würde. Aber sie war nur genauso still, wie Alex das manchmal ist.
Meine Gefühle waren eher gemischt. Einerseits wusste ich, dass Julie mir fehlen würde, und Jon und Lisa taten mir leid. Andererseits war ich völlig begeistert, nach über einem Jahr mal wieder aus Howell rauszukommen. Und ich rechnete fest damit, dass Alex sich, sobald Julie im Kloster untergebracht war, für mich entscheiden würde.
Nachdem Julie und Alex uns gestern die geliehenen Kleidungsstücke zurückgegeben hatten, verstauten sie ihre übrigen Habseligkeiten in ihren Rucksäcken. Unsere Schlafsäcke warfen wir hinten in den alten Transporter. Die Autos von Mom, Matt und Mrs Nesbitt sind alle nicht angesprungen, als Dad es gestern Abend versucht hat. Matt war so wütend auf sich selbst, dass er einen Streit mit Syl vom Zaun gebrochen hat. Die beiden haben sich die halbe Nacht lang angebrüllt.
Jon war auch total sauer. Er ist gestern zu Dad rüber, um sich zu verabschieden. Heute Morgen wollte Mom nicht zulassen, dass er noch mal hingeht. So lag er jetzt zusammengerollt in einer Ecke des Esszimmers und versuchte, nicht zu weinen.
Alles in allem ein hervorragender Zeitpunkt, von hier zu verschwinden.
Dad saß am Steuer, ich neben ihm. Wer es nicht besser wusste, hätte uns für eine Familie halten können. Vielleicht ein geschiedener Vater, der seine Kinder nach dem Wochenende wieder zu ihrer Mutter zurückbrachte. Allerdings eine zweisprachige Familie, denn die einzigen Worte, die Alex und Julie wechselten, wurden auf Spanisch geflüstert.
Auch auf dem Highway fuhr Dad nicht schneller als fünfzig km/h. Der Motor stotterte und wurde irgendwann zu heiß. Wir hielten an, bis er wieder abgekühlt war. Mich störte das nicht. Ringsum war zwar alles trist, grau und tot, aber ich fand es trotzdem toll, unterwegs zu sein. Ich hatte es nicht eilig, wieder nach Hause zu kommen. Alex und ich hatten noch alle Zeit der Welt vor uns.
Als wir ein zweites Mal anhalten mussten, um den Motor abkühlen zu lassen, wurde mir klar, dass ich vielleicht nie wieder so weit von zu Hause weg sein würde. Solange wir noch Lebensmittel bekamen, fast jeden Tag Strom hatten und genug Holz, um uns für alle Zeiten zu wärmen, würde Mom nicht fortgehen wollen. Syl vielleicht schon (ich glaube, das war einer der Streitpunkte letzte Nacht), aber Matt würde weder Mom noch den Rest von uns einfach zurücklassen. Falls Dad und Lisa aus irgendeinem Grund wieder aufbrechen wollten, würde Jon vielleicht mit ihnen gehen. Aber warum sollten sie das tun, wo das Reisen für den Kleinen so gefährlich war?
Von daher war diese Fahrt für mich Sommerlager, College und Flitterwochen in einem. Selbst die Tatsache, dass sie in einem Kloster enden würde, dämpfte meine Begeisterung nicht. Schließlich bin ich noch nie in einem gewesen.
»Wie habt ihr eigentlich von diesem Kloster erfahren?«, fragte ich, als es mir irgendwann langweilig wurde zu mutmaßen, worüber Alex und Julie sich unterhielten. »Bei einem eurer Ferienlager?«
»Nein«, sagte Alex. »Unser Pfarrer hat mir letztes Jahr davon erzählt. Sie haben damals ein paar Mädchen aufgenommen, aber Julie war noch zu jung.«
Julie murmelte irgendetwas auf Spanisch und Alex antwortete ebenso leise.
»Wenn euer Pfarrer es empfohlen hat, ist es bestimmt ein guter Ort«, sagte Dad.
»Ja«, sagte Alex. »Deshalb meinte Carlos ja auch, dass es für Julie das Beste wäre.«
»Dann sind also auch andere Mädchen in deinem Alter dort«, sagte Dad. »Wäre doch schön, wenn du wieder Freunde hättest.«
»Jon war mein Freund«, sagte Julie, was bei Alex einen wahren Wortschwall auf Spanisch auslöste.
Dad beachtete ihn nicht. »Jon wird dich sehr vermissen«, sagte er. »Wir alle werden das.«
»Es ist trotzdem das Beste«, sagte Alex. »Julie wird dort in Sicherheit sein. Gott wird über sie wachen.«
»Das ist sicher ein Trost.« Dad trat plötzlich hart auf die Bremse.
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