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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter de Bruyn
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»alte Landesformen, Philosophien, Fürsten und 10000 andere Dinge« abgeschafft werden müssten, entschieden ab. Er übernahm von Wolke nur Kleinigkeiten, wie den Titel »Herbst-Blumine« für eine Sammlung kleinerer Arbeiten, in deren Vorrede er erläuterte, dass das Wort Blumine der von Wolke eingedeutschte Name der Göttin Flora war. Dass man nach Meinung des »edlen Deutschmanns« Wolke auch die Venus zur Huldine, die Pomona zur Obstine und den Vulkan zum Feueran machen sollte, fand Jean Pauls Zustimmung, mehr aber noch die Forderung, dass das Fugen-S zwischen den Doppelwörtern zu tilgen sei. Bei der Überarbeitung des »Siebenkäs« machte er sich dann tatsächlich die Mühe, alle diese S wegzustreichen, so dass man bei der Lektüre dieses wunderbaren Romans bei jedem Hochzeittag, Eselohr oder Zeitungartikel im Lesen stockt.
    Zu seiner Vielseitigkeit gehörte aber auch die Beschäftigung mit medizinischen Fragen, durch die er sich nicht nur zum Kurieren von Kindern und Mägden befähigt glaubte, sondern auch zur Selbsttherapie. Ständig beobachtete er seine Körperfunktionen, und die Selbstdiagnose, die er unter dem Titel »Vorbericht zu dem Kranken- und Sektionsbericht von meinem künftigen Arzte« für die berühmten Berliner Ärzte Heim und Hufeland anfertigte, war anscheinend nicht falsch. Der oben schon zitierte Arzt Bursy hielt den Dichter für einen Hypochonder, der auf jeden »Puls- und Herzschlag mit größter Genauigkeit« achtete und auch Selbstbeobachter beim Essen und Schlafen war. »Schlafen muss ich viel, damit meine Leser nicht schlafen« , soll er zu Bursy gesagt haben. »Unmittelbar nach dem Abendessen lege ich mich zu Bette, und mit Hülfe meiner in Katzenbergers Badereise gerühmten Mittel bringe ich’s schnell zum Einschlafen. Ich habe jetzt noch viel mehr solcher Mittel erfunden und durch Selbsterfahrung geprüft. Da ich nachts wohl zwanzigmal aufwache, um Wasser zu trinken, so musste ich mir untrügliche Mittel ausfinden, und ich habe sie gefunden. Ich schlafe gewöhnlich acht Stunden und trinke morgens, sobald ich aufgestanden, ein Glas ganz kaltes Wasser, eine gute Stunde danach reinen, leichten französischen Wein.«
    Selbstbeobachtung nicht nur des Körperlichen, sondern auch des Psychischen, war für den Erzähler immer wichtig gewesen, von den Anfängen an. Siebenkäs, Wutz, Fixlein und andere seiner Gestalten waren doch zu großen Teilen nach seinem eignen Bilde geformt worden, und wenn er sie auch durch Ironie verfremdet hatte, war doch eine Identifizierung mit ihnen, am stärksten im »Siebenkäs«, erhalten geblieben, die er nun in seinen späten Erzählungen, die nicht weniger Eignes enthalten, ganz unterließ. Konnten die Fixlein und Wutz lächelnd bemitleidet und doch geliebt werden, so können die Gestalten der späten Erzählungen, deren Schwächen bloßgestellt werden, entweder als unheimlich empfunden werden, oder sie werden ausgelacht. So wird in »Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz« das Porträt eines Angsthasen gegeben, das, da es vom Militärpfarrer selbst als Heldengeschichte erzählt wird, als ein Spaß daherkommt, in Wahrheit aber der Krankenbericht eines unter Angstvorstellungen leidenden Psychopathen ist. Schmelzle fürchtet sich nicht nur vor Gewalt, Diebstahl, Feuersbrunst und Gewitter, sondern auch vor der Möglichkeit, dass ein anderer seine Unterschrift nicht entziffern kann. Angst macht ihm der Gedanke, dass er gezwungen sein könnte, einen Ertrinkenden zu retten und dabei selbst zu ertrinken. In der Kirche, wo er als Kind immer gefürchtet hatte, während der Predigt schreiend zur Kanzel hinauf seine Anwesenheit bekunden zu müssen, fürchtet er nun, dass er beim Abendmahl zu lachen gezwungen sei. Vor jeder Reise muss er seiner Frau eine Liste mit Verhaltensregeln bei Unglücksfällen übergeben, und beim Barbier, der das Rasiermesser an seine Gurgel führen könnte, steht er jedes Mal Todesangst aus. Dass der Autor hier versucht hat, eigne Phobien durch Übertreibung zu bekämpfen, ist offensichtlich, aber zum Lachen, wie Jean Pauls selbst das behauptete, ist das nicht.

Abb.45: Illustration zum »Feldprediger
Schmelzle« von Karl Thylmann
    Zum Lachen ist da schon eher »Dr. Katzenbergers Badereise« geeignet, obwohl auch da mancher Scherz eher schaudern lässt. In dieser gut gebauten Geschichte, in der auch eine Verwechslungskomödie enthalten ist, reist der Arzt und Anatom Dr. Katzenberger in einen Badeort, um einen Rezensenten zu

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