Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
widersprach Jean Paul in der zweiten Auflage seines Corday-Aufsatzes in einer ausführlichen Fußnote, in der er klarmachte, dass die Corday damals Marats Bluttaten bestrafen und künftige verhindern wollte, während der »fanatische, unseligst-verblendte« Sand die Mordtat nur Meinungen wegen beging. Nur die Schreibfeder, nicht aber den Dolch hätte der »Brausejüngling« benutzen dürfen. Statt zur Freiheit beizutragen, habe seine Tat, da sie den Karlsbader Beschlüssen als Vorwand diente, nur zu ihrer noch stärkeren Beschneidung geführt.
Abb.53: Ermordung Kotzebues durch den Studenten Sand.
Zeitgenössische Lithographie
Für Jean Paul waren diese jugendlichen Verirrungen auch persönlich von Bedeutung, weil sein Sohn Max, der erst in München, dann in Heidelberg Philologie studierte, auch von ihnen beeinflusst schien. Da Max Neigung zeigte, die Schwärmerei für den Märtyrer Sand mitzumachen, belehrte ihn sein Vater darüber, dass nach Sands Grundsätzen »jeder Katholik Luthern, Voltairen und jeden protestantischen Minister ermorden« dürfte, und da Max auch Gefahr lief, aus dem vom Vater vermittelten vernünftigen Protestantismus in einen religiösen Mystizismus zu geraten, wurde er vom Vater in fast jedem Brief vor dieser »überchristlichen« Modeerscheinung gewarnt. »Gott möge dich« , schrieb er dem Sohn, zu dem »heiteren Christentum« eines Herder oder Jacobi bekehren, er hätte aber auch schreiben können: eines Jean Paul.
Das Problematische dieser Vater-Sohn-Beziehung bestand offensichtlich darin, dass der gutgemeinte starke Einfluss, den der Vater hatte, darauf gerichtet war, einen zweiten Jean Paul aus dem Sohn zu machen, dieser aber, dem das Schöpferische seines Vaters fehlte, davon überfordert war. Seine Schwester Emma dagegen, die beim Vater bis zu seinem Tode lebte, seine Manuskripte abschreiben musste und selbst in seinem Stil zu schreiben lernte, hatte weniger als ihr Bruder zu leiden, weil sie später heiratete und Kinder hatte, während er der Qual des Nicht-genügen-Könnens schließlich erlag. Denn in Heidelberg waren es nicht nur die ermahnenden und sein Studium lenkenden Briefe des Vaters, die ihn antrieben, sondern auch die Erwartungen, die man dort in den Sohn des berühmten Vaters setzte, denen zu entsprechen ihm aber nicht möglich war. Die dadurch entstehenden Minderwertigkeitskomplexe versuchte der Vater ihm zwar brieflich auszureden, da er ihn aber weiterhin gängelte, hatte er damit keinen Erfolg. Im September 1821 machte er dem Sohn Vorwürfe, weil dieser Vorlesungen belegt hatte, ohne vorher den Vater gefragt zu haben. Doch ehe Max darauf antworten konnte, erkrankte er, wahrscheinlich an Typhus, schaffte es noch, zu den Eltern zu fahren, und starb wenige Tage danach.
Ein Jahr später hatte Jean Paul auch den Freund Heinrich Voß zu betrauern, der sich noch auf dem Krankenlager mit der Korrektur des »Komet« beschäftigt hatte. Jean Pauls Leben war nun, wie er schrieb »kalt verfinstert für immer« , und für die Fertigstellung seines letzten komischen Romans fehlte es ihm an Kraft.
Abb.54: Jean Paul 1823.
Pastellgemälde von Lorenz Kreul
Abb.55: Karoline Richter 1826.
Zeichnung von Ernst Förster
Der Komet
Als Jean Paul im Dezember 1817 von dem schwedischen Dichter Atterbom besucht wurde, kam man auch auf jene Stelle in »Dichtung und Wahrheit« zu sprechen, in der Goethe sich als Kind gern vorgestellt hatte, statt des bürgerlichen einen adligen Vater zu haben, vielleicht sogar, wenn auch ungesetzlich, ein Prinz zu sein. Die Offenheit, mit der Goethe diese Träumerei zugab, konnte sich Jean Paul nur durch Goethes Amoralität erklären, die an dieser frühen Verderbtheit seiner »moralischen Natur« nichts auszusetzen fand. Jean Pauls bürgerliches Selbstverständnis erlaubte ihm nicht, zuzugeben, dass sich in Standesgesellschaften Träume dieser Art bei jungen Menschen, die über ihren Stand hinausstrebten, fast zwangsläufig einstellen mussten, und auch er, vielleicht nur im Unbewussten, wie seine Werke ahnen lassen, nicht frei davon war.
Wenn er sich selbst auch im Leben den adligen Frauen versagte, so durften sie doch seine Werke bevölkern, sich auch von Fixlein und Siebenkäs, seinem anderen Ich, heiraten lassen, oder auch eine Generalstochter lieben, wie in den »Flegeljahren« der seinem Autor nicht unähnliche Walt. Den abenteuerlichen Geschichten, die die Handlungen des »Hesperus« und des »Titan« mühsam voranbringen, liegen geheimnisvolle
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