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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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jedes Jahr eine prachtvolle Karte mit liebevollen Wünschen, und Jim vergaß nie, beim Zimmerservice Sekt und eine Rose zu bestellen. Seit einiger Zeit allerdings schrieb er mir kein Gedicht mehr auf die Karte, sondern zeichnete nur ein Herz.
    »Ich weiß, dass du nicht so verliebt in mich bist wie ich in dich«, hatte er einmal gesagt. »Aber ich werde die Hoffnung nie aufgeben, dass es eines Tages doch noch so sein wird. Dann wird dir auffallen, dass andere Frauen nicht so von ihren Männern geliebt werden wie du, und du wirst merken, wie gut wir es all diese Jahre zusammen hatten.«
    »Das weiß ich doch schon«, hatte ich erwidert.
    Ich wollte nur nicht mehr mit Jim schlafen. Ich dachte nicht an andere Männer. Seit meinem fünfzigsten Geburtstag wollte ich einfach nur meine Ruhe haben und mich auf meine Kinder und meine Arbeit konzentrieren.
    Ich hatte Freunde – darunter immer noch Josh Cohen, mit dem ich in Kontakt blieb, obwohl er seit langer Zeit in Kalifornien lebte. Aber am wohlsten fühlte ich mich, wenn ich mir einmal – selten genug – frei nehmen und in Boston den ganzen Tag durch ein Museum wandern und die Gemälde betrachten konnte.
    Im Museum of Fine Arts gab es eine Ausstellung mit Bernini-Skulpturen aus Italien, die ich bislang nur aus Büchern kannte. Weil ich die Menschenmassen am Wochenende vermeiden wollte, nahm ich mir einen Tag frei und fuhr mit meinem Skizzenblock nach Boston, um mir die Ausstellung anzusehen.
    Die Skulpturen gefielen mir alle, aber eine, Apollo und Daphne, hatte es mir besonders angetan. Ich schritt langsam um sie herum und betrachtete sie aus allen Blickwinkeln: Apollo greift nach der Frau, die er liebt, und Daphne – mit verzweifelter Miene und wehendem Haar – versucht zu entkommen.
    Doch dann hatte sie einen anderen Weg gewählt, dem Verfolger zu entkommen: Sie verwandelte sich in einen Lorbeerbaum. Bernini hatte den Moment der Verwandlung dargestellt: Noch ist Daphne eine schöne junge Frau, aber aus ihren Händen wachsen Blätter, und ein Bein ist vom Baumstamm umfangen. Bald wird sie für immer und ewig reglos sein.
    Auf der ganzen langen Heimfahrt dachte ich über diese Skulptur nach, und erst kurz vor der Farm fiel mir auf, dass der Name Daphne für mich noch eine weitere Bedeutung hatte. So hatte Ray unsere gemeinsame Tochter nennen wollen.
    Als ich heimkam, war es schon dunkel. Jim hatte für Douglas Abendessen gemacht und sah sich im Wohnzimmer ein Baseballspiel an.
    »Hast du einen schönen Tag gehabt?«, fragte er.
    »Wunderbar.« Ich erkundigte mich nach Douglas’ Baseballspiel und nach einer Besprechung von Jim. Er schaltete den Fernseher aus und kam in die Küche, wo ich mir gerade ein Glas Wasser einschenkte. In diesem Moment sah er aus wie ein anderer Mann. Ein Mann, den ich nicht kannte.
    »Ich muss dir etwas sagen, Ruth«, sagte er. »Ich habe mich in eine andere Frau verliebt. Ich will mit ihr zusammen sein.«

Dana
    Nur kleine Staubkörner
    E nde April fuhr ich zur Universität, um dort einige Exemplare meiner Erdbeerzüchtung, der »Plank-Erdbeere«, einzureichen. Das war der erste Schritt auf dem Weg zum Patent. Meine Pflanzen würden nun über ein Jahr und mindestens drei Generationen penibelsten Untersuchungen unterzogen werden, bevor meine neue Erdbeerart offiziell anerkannt werden durfte.
    Im Herbst, ein paar Wochen vor Semesterbeginn, gab Clarice ihre Stelle auf. Eines Nachmittags hatte ich sie in Tränen aufgelöst an ihrem Schreibtisch vorgefunden. Sie hatte versucht, für eine Vorlesung über die flämischen Meister einen Diakasten mit Fotos zu füllen.
    »Ich krieg die Dias nicht mehr in diese Rillen«, hatte sie gesagt.
    »Ich mach das für dich«, hatte ich erwidert. Aber das war noch nicht alles. Sie hatte nicht mehr genug Kraft in den Beinen, um das Gaspedal im Auto zu drücken, und Lenken war quasi unmöglich. Auch das Gehen fiel ihr von Tag zu Tag schwerer, und ich konnte sie zwar noch verstehen, aber ihre Aussprache wurde undeutlicher. Das war das Schlimmste für sie. Bislang.
    »Aber weißt du, was das Gute daran ist, wenn du nicht mehr arbeitest?«, sagte ich. »Dann können wir endlich verreisen.«
    Am nächsten Tag fuhr ich mit unserem alten Subaru in die Stadt und kehrte mit einem neuen Van zurück, der mit Bett, Gaskocher, Spülbecken, Toilette, Klimaanlage und Stereoanlage ausgestattet war. Die Luxusversion. Wofür sollten wir noch sparen?
    »Lass uns nach Wyoming fahren«, verkündete ich.
    Eigentlich hätte ich diese

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