Das Leben Findet Heute Statt
Fürsprecher für mich sein würde.Dass sein Vorbild auf mich abgefärbt hat, kann ich durch Erfahrungen belegen. Ein Name ist eben auch ein Programm.
Ob Chastity-Claire oder Apple oder Iggo oder Sulawi mit einem Programm verbunden sind, wage ich allerdings zu bezweifeln. Von ihren Eltern werden diese Kinder wohl nie erfahren, was diese sich dabei gedacht haben, als sie ihrem Kind einen solchen oder anderen absonderlichen Vornamen aufdrückten. «Armes Kind!», denke ich, wenn mir Eltern bei der Anmeldung zur Taufe solche Namen nennen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie weniger das Kind oder gar einen Wunsch für das Kind mit dem Namen verbinden: Er klingt schön, er hat uns gefallen. Die wirkliche Begründung wird natürlich verschwiegen: Wir wollen etwas Besonderes sein. Und deshalb muss unser Kind dafür herhalten. Wir möchten zeigen, wie ausgefallen wir sind, wenn wir unser Kind mit einem ausgefallenen Namen belegen. Wir. Wir. Wir. Und das Kind?
Leider ist es nichts Neues, ein Kind und überhaupt den Mitmenschen eher als Zugewinn zu sehen, der den eigenen Bedürfnissen zu dienen hat. Gerne schimpfen jene, denen ein Name für ihr Kind nicht absonderlich genug sein kann, über die angeblich so schlimmen früheren Zeiten. Damals hätten die sogenannten rückständigen Vorfahren ihre Kinder wie einen persönlichen Besitz behandelt. Man spricht mit Entrüstung über die Epochen, in denen sich die Reichen Sklaven hielten, und kommt sich heute so viel gescheiter vor.
Wenn ich mir die heutige Namenswahl so ansehe, kann ich aber noch keinen Fortschritt entdecken. Die Kleinen werden Opfer ihrer Eltern, die sich vorstellen, was für ein Prinz aus dem Nachwuchs wohl werden wird, und nicht zu vergessen: was man selbst als Prinzenmutter und Prinzenvater gelten wird! Ein verklärter Blick auf die Möglichkeiten der Zukunft – und schonsieht man die eigene Tochter als «Germany’s Next Top Model». Und den eigenen Sohn als «Superstar».
Aber Kinder haben nichts von Eltern, die sich ständig im Morgen aufhalten. Ein Kind braucht Eltern, die es heute lieben. Ein Kind braucht das Du seiner Mutter und seines Vaters. Es ist ein Geschenk für diese Welt. «Der Herr hat mir Brüder gegeben!», sagt Franziskus in seinem Testament rückblickend. Der Zellengang im Kloster erinnert uns Brüder daran. «Der Herr hat uns ein Kind geschenkt!», müssen Eltern neu lernen zu sagen. Wir Kapuziner «machen» uns die Brüder nicht. Sie kommen einfach. Kinder werden auch nicht gemacht. Sie werden geboren und hoffentlich in einer Liebe gezeugt, die nicht die Produktion im Sinn hat, sondern allein den Partner beziehungsweise die Partnerin und den Wunsch, eine Familie zu gründen.
Darin steckt ja der tiefere Sinn der Namensgebung: Du bist eine Person. Du lebst, weil du jemand bist, dem das Leben von einer höheren Warte aus zukommt als vom Lauf der Welt. Du bist keine Nummer in der Reihe von all dem, was sich wiegen, messen und zählen lässt. Im Namen des Menschen spiegelt sich Gott: Mein bist du! Jeder Mensch ist ein Geschenk Gottes für diese Welt. Du trägst einen Namen, weil du wie deine Namensvorgänger an der Geschichte der Menschheit mitwirken sollst. Kinder werden nicht für ihre Eltern geboren, sondern für diese Welt. Sie sollen nicht ihre Familie glücklich machen, sondern die Familie soll sie beglücken. Sie sind keine Investition in die Zukunft, sondern eine Gabe für die Gegenwart. Kinder wollen heute geliebt werden. Sie dürfen nicht so für ein Morgen trainiert werden, dass ihnen das Heute vergiftet wird. Einem Kind den Namen eines Heiligen zu geben, das meint: Lebe heute gut. Du hast ein Vorbild in der Vergangenheit. Lebe heute beruhigt. Du hast einen Fürsprecher im Himmel.
Pech für den, der dem Himmel nicht trauen will. Er muss sich damit begnügen, Gen und Genom zusammenzuzählen. Wir sind in Deutschland den lieben langen Tag damit beschäftigt, die günstigsten Konstellationen für die Zukunft zu berechnen, die doch keiner kennt. Es werden Bildungschancen ausgerechnet und Pläne entworfen – doch erstens kommt es anders, und zweitens als Gott lenkt, wie wir im Kloster sagen. «Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Mein bist du», lässt sich Gott in der Bibel vernehmen (Jes 43,1). Gott holt alle, die aus der Unzufriedenheit mit sich und der Welt krampfhaft nach besseren Zeiten Ausschau halten, auf den Boden der Gegenwart zurück. Wir gehören nicht einer Zukunft, für die wir heute in Programme und
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