Das Leben ist ein Kitschroman
nur hoffen, dass Fortuna bei dieser Begegnung die Finger im Spiel hatte. Und dass es bald zu diesem Treffen käme, denn der 1. Juli rückte gnadenlos näher. Daran änderten meine Verdrängungskünste leider auch kein bisschen.
Ich klickte auf die zweite Karte und Der Teufel kam zum Vorschein:
Durch Spontaneität, Offenheit und das Ausleben Ihrer Wünsche können Sie Ihr Glück bewahren. Auch etwas Theatralik kann von Zeit zu Zeit nicht schaden und verleiht Ihrem Leben etwas Pep.
Klarer Fall: Hier konnte nur der Schreibjob gemeint sein, denn da triefte die Theatralik aus jeder einzelnen Zeile. Ich hatte vorhin kurz überflogen, was Luise sonst noch an Entwürfen gespeichert hatte, und ja: auch hier Drama pur.
Ich klickte auf ihre Mailbox, in der Hoffnung, dass die Redakteurin den Text auf der Stelle gelesen und sofort begeistert zurück-gemailt hatte. Aber nichts dergleichen war geschehen. Der Posteingang war leer, und ich war froh, dass ich heute Abend mit Mechthild und Olga zusammen war. Sonst würde mich die Warterei noch komplett kirre machen.
26
Auf dem Weg ins Opernhaus merkte ich, dass die Storys mich bereits voll in ihren Fängen hatten. Überall wähnte ich Schicksalsschläge und mir fiel spontan zu jedem meiner Mitreisenden in der U-Bahn eine passende Tragödie ein.
Sah diese verhärmte Frau da vorne an der Tür nicht aus, als hätte sie soeben erfahren, dass ihr Mann seit zehn Jahren ein Doppelleben führt? Inklusive der vier Kinder, die er mit ihr nie haben wollte? Und diese missmutig dreinschauende Businessfrau: Wetten, dass sie ihr Mann mit dem Au-pair-Mädchen betrog? Oder gar mit ihrem Geschäftspartner?
Schon verrückt. So sehr ich mich im ersten Moment gegen diesen Job gewehrt hatte, so sehr begeisterte mich die Aussicht, weiter schreiben zu dürfen, und ich notierte die Ideen schnell auf einem Kassenzettel, den ich in meiner Jackentasche fand.
Ha! Sobald wir von der Redaktion grünes Licht bekämen, würde ich mich richtig reinstürzen und denen zeigen, was ich konnte. Vielleicht hatte Ineke ja recht und es entwickelten sich tatsächlich noch ganz andere Möglichkeiten für mich.
In der Garderobe war bereits einiges los. Ich zog mich schnell um und stellte mich neben Olga an die Theke.
»Ist Mechthild nicht da?«
Olga schüttelte den Kopf. »Zwai Euro fumpfzick!« Sie nahm das Geld entgegen und nickte einer aufgetakelten Dame freundlich zu.
»Haite kommt Schannetall zurick und Mächthild macht aine fraie Tack.«
Kaum hatte sie die Erklärung gegeben, tauchte die bisher unbekannte Kollegin schon hinter uns auf.
»Hallöchen!« Sie küsste Olga auf beide Wangen und drückte mir die Hand. »Du bist die Vertretung für Luise?«
»Ja, ich bin Charli«, sagte ich und musterte sie neugierig. Chantal war bestimmt 1,80 Meter groß, unglaublich dünn und hatte ihre langen schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten. »Luise lässt euch übrigens herzlich grüßen.«
»Gäht es gut? Zwai Euro fumpfzick, bittä!«
»Ja, alles in Butter«, sagte ich, während ich einem alten Herrn Mantel und Hut abnahm und die Gebühr kassierte.
»Waist du, wann naie Gäschichten im Laden kommen?«, fragte Olga. »Ich liebe Gäschichten von Luise!«
»So wie es aussieht, werde ich die in nächster Zeit schreiben müssen«, sagte ich, erstaunt darüber, wer alles über die geheimen Jobs meiner Freundin Bescheid wusste.
»Dann kann ich dir gleich die neuesten Dramen mit meinem Ex erzählen«, sagte Chantal. »Der hat es in letzter Zeit wieder richtig knallen lassen. Vielleicht kannst du das irgendwo verwursten.«
»Und maine Tante Feodora hat aine schräckliche Sache erläbt«, ergänzte Olga. »Ich ärzähle dihr glaich!«
Grinsend nahm ich den Mantel eines alten Herrn in Empfang. So wie es aussah, konnte ich die Zeit während der Aufführungen gut nutzen und würde bald Stoff für weitere zwanzig Storys haben.
Tante Feodora hatte die schräckliche Sache zwar nicht selber erlebt, aber aus nächster Nähe bei der Nachbarin. Diese hatte in einem Anfall von Wahnsinn die Treue ihres Mannes testen wollen und versucht, ihn mit einer drallen Blondine in Versuchung zu führen.
»Der Mann hat sie gar nicht ahngeschaut«, sagte Olga kopfschüttelnd. »Er war treu. Aber dann er hat gehört, dass saine Frau ihn ausspioniert und ihm diese Falle gemacht hatte ... «
»Und?« Chantal rutschte etwas näher heran und lauschte Olgas Erzählung gebannt. »Hat er das als Liebesbeweis gewertet?«
»Nain. Er ihst
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