Das Leben ist ein Kitschroman
einen Olivenkern in die Handfläche und ließ ihn auf ihren Teller rollen. »Vielleicht so: Ich spürte seine Blicke auf mein Rücken. Dann, plötzlich umfasste er mich von hinten und küsste mein Nacken. Zuerst reagierte ich nicht, aber als ich spürte, wie sich seine Zunge hinter mein Ohr bewegte, erschauderte ich voller Lust.« Ineke sah uns erwartungsvoll an.
»Perfekt!« Ich schrieb in einem Affentempo mit. Um die Grammatik würden wir uns später kümmern. Jetzt ging es um das Knistern und sonst nichts. »Vielleicht sollten wir hier die Situation aber bremsen, weil jemand die Praxis betritt.«
»Sehr gut!« Ineke nickte. »Ein kleine Klimax ist immer schön.« Sie nahm sich die Geschichte erneut vor und tippte auf eine andere Stelle. »Aber nach der Sprechstunde könnten sie zur Sache kommen, oder?«
Sollten sie? Ich hatte keine Ahnung, ob wir damit den Begriff Knistern bereits verließen oder noch im grünen Bereich waren.
Auch Andrea schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir es in diesen Geschichten zu einem Quickie kommen lassen können«, sagte er. »Lieber nur Kopfkino, wie du schon sagtest.«
»Okay.« Ineke nahm sich die nächste Olive und schob sie im Mund hin und her. »Dann sollten wir die Sache auf der Parkbank noch ein bischjen ausweiten. Dann kommt der Ende noch brutaler. Vielleicht so was: Als ich mich neben ihn auf der Parkbank setzte, spürte ich, wie erregt er war. Er stöhnte, als ich meine Hand unter sein T-Shirt schob. Ich genoss das Gefühl von sein harte Muskeln von sein flache Bauch unter meine Handflächen. Nicht hier, stöhnte er, aber ich ließ nicht locker. Gerade als ich mein Hand weiter nach unten wandern ließ, klingelte sein Handy.«
Andrea nickte. »Klingt gut. Und dann geht er gleich?«
Während Ineke und Andrea darüber diskutierten, ob es auf der Bank noch weiterging, wurde mir plötzlich richtig schlecht. Ich sah mich wieder mit Carsten in der Sonne sitzen, hörte seine Stimme und spürte seine zärtlichen Hände, seine Lippen.
Verdammt. Warum hatte ich dieses Idioten-Abo? Warum hefteten die gestörten Männer sich immer an meine Fersen und warum hatte ich nie mal Glück mit einer Beziehung? Würde sich das wie ein roter Faden durch mein gesamtes Leben ziehen? Würde meine Nichte D-D später ihren Freundinnen voller Mitleid von mir erzählen? »Wisst ihr, meine Tante Charlotte ist total süß, aber die Kerle haben sie um den Verstand gebracht und jetzt haben wir sie in dieser Anstalt unterbringen müssen. Ist wohl so das Beste für sie.«
»Was ist denn mit dir?« Andrea musterte mich besorgt. »Kocht die Geschichte mit Carsten wieder hoch?«
Ich nickte. »Irgendwie komme ich mir wie der Obertrottel vom Dienst vor«, sagte ich leise. »Egal, welcher Mann sich für mich interessiert, es geht immer in die Hose.«
Ich ließ einen tiefen Seufzer los. »Gibt es überhaupt so was wie die große Liebe, oder ist das nur ein altes Märchen, das man sich von Generation zu Generation weitererzählt?«
»Was verstehst du unter große Liebe?«, fragte Andrea.
»Eine Liebe, die mich total umhaut, mich verändert, und danach ist nichts mehr, wie es vorher war.«
»Das nennt man Persönlichkeitsentwicklung«, sagte Ineke. »Das hat nichts mit die große Liebe zu tun, das kann man immer wieder erleben. Wenn ich mir überlege, wie oft es mich umgehauen und sich alles verändert hat... «
»Ja, schon«, sagte ich. »Aber so richtig?«
»Absolut richtig«, bestätigte Ineke. »Wie viele große Lieben hattest du denn schjon?«
»Ich glaube noch gar keine.« Plötzlich fühlte ich mich wie im Kindergarten beim Stuhlkreis am Montagmorgen. Da hatten wir auch immer berichten müssen, was am Wochenende so alles passiert war. Und ich hatte immer den Eindruck gehabt, dass die anderen Kinder viel interessantere Sachen erlebt hatten als ich. »Es gab schon ein paar längere Beziehungen, aber unterm Strich kann ich nicht sagen, dass es mal so richtig WUMM gemacht hat.« Ich sah Ineke an. »War Stefan denn eine große Liebe?.«
»Stefan war ein große Liebhaber, aber ich weine ihn keine Träne hinterher. Mit Carsten ist das anders, oder?«
»Nein, nicht unbedingt. Carsten war eher die große Erwartung«, sagte ich. »Und eigentlich kann ich von Glück sprechen, dass er sich schon so bald als die große Verarsche geoutet hat. Bevor ich noch mehr Gefühle investiert habe.«
»Verliebte Frauen sind gern bereit, alles zu glauben«, sagte Ineke. »Und dazu kommt, dass es
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