Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Titel: Das Leben ist eine Oeko-Baustelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Paul
Vom Netzwerk:
abzudecken.
    Diesen Eindruck hinterlässt bei mir auch das staatliche Bio- siegel, das die Grünen-Politikerin Renate Künast im Herbst 2001 am Anfang ihrer Zeit als Verbraucherministerin eingeführt hat. Es kennzeichnet Lebensmittel, die den Kriterien der EG-Öko-Verordnung genügen. Ende 2010 gab es über 60 000 Produkte mit diesem Biosiegel. Dafür reicht es, wenn 95 Prozent der Inhaltsstoffe aus Ökoanbau kommen. Das EU-Biosiegel sagt, dass Gemüse und Obst ohne Gentechnik, chemische Dünger und Pestizide angebaut werden. Bei deren Verarbeitung sind aber weitaus mehr Zusatzstoffe erlaubt als z. B. bei Demeter. In der Tierhaltung gibt es keine konkreten Richtlinien, und es darf neben biologisch erzeugtem auch konventionelles Tierfutter verwendet werden. Die Tiere bekommen aber wohl etwas mehr Platz und Zeit bei der Aufzucht. Diese Mindeststandards sind, denke ich, etwas zu wenig. EG-Bio ist für mich kein Bio.
    Die deutschen Bioanbauverbände wie Demeter, Naturland und Bioland und auch regionale Gemeinschaften haben deutlich strengere Qualitätsrichtlinien, um der Grundphilosophie möglichst nahezukommen. Das heißt: möglichst wenig von außen zuzukaufen, sondern den Bauernhof als Organismus zu verstehen, der auch sein eigenes Biotierfutter und Biosaatgut produziert und weitgehend ohne Zusatzstoffe auskommt. Bei Demeter erfolgt die Tierhaltung und -behandlung nach ganz klaren Kriterien, um des Gesamtorganismus willen. EU-Bio be deutet, dass möglicherweise nur Teile eines landwirtschaftlichen Betriebs auf Bio umgestellt sind, echtes Bio verlangt, dass der ganze Hof bio ist und bio produziert.
    Obwohl Frau Künast mit dem EU-Bio sicher nur erreichen wollte, dass größere Teile der Landwirtschaft, nicht nur deutschland-, sondern auch europaweit, auf Bio umstellen, hat sie damit eher die Marke verwässert und so dem ursprünglichen Biogedanken fast geschadet.
    Grundsätzlich wäre es natürlich schön, Bio für viel mehr Menschen zur Verfügung zu stellen und für Milliarden zu produzieren. Ich glaube nur, dass das nicht so einfach realisierbar ist. Damit möchte ich überhaupt nicht sagen, dass Bio nur einem Teil der Bevölkerung zugänglich sein soll. Ganz im Gegenteil. Nur erfordert das ein komplexes, generell anderes Nachdenken über die globalisierte und industrialisierte Nahrungsmittelindustrie und die notwendige Ernährung von sieben Milliarden Menschen. Aber das ist ein weites Feld. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Selbstverständlich muss man sich Bio leisten können. Bio fleisch ist teuer, verglichen mit Industriefleisch. Generell ist das Einkaufen im Biosupermarkt nach meiner Erfahrung ein Viertel teurer als im Supermarkt. Vom Discounter nicht zu reden. Aber ich erinnere mich, dass es auch Renate Künast war, die mal sagte, dass die Deutschen, verglichen mit ihren Nachbarn, das meiste Geld für die Küche ausgeben – und das wenigste für Lebensmittel. Ich habe das nachgeprüft: Es stimmt. Das heißt: Es ist manchen von uns die Wertschätzung für gute Lebensmittel verloren gegangen, weil wir uns daran gewöhnt haben, etwa für einen Liter Motoröl Unsummen auszugeben, aber für Fleisch praktisch nichts.
    Seit einiger Zeit kann man den Eindruck gewinnen, dass gutes Essen Teil der Yuppisierung von vormals politischen Milieus ist. Das ist sicher zum Teil richtig, mir aber dennoch zu pauschal. In Statements von Ernährungswissenschaftlern wird von einer gespaltenen Gesellschaft gesprochen: die einen politisiert oder lifestylig, mit der Bereitschaft, dem Bildungsniveau und den finanziellen Möglichkeiten ausgestattet, Geld für Lebensmittel auszugeben, die anderen limitiert durch geringes Einkommen und dadurch Supermarkt- und Fast-Food-Kundschaft.
    Es gibt Leute, die sagen, man könne sich als Bezieher von Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) nicht gesund ernähren, geschweige denn auf andere Menschen und Tiere Rücksicht nehmen. Andere meinen, das ginge sehr wohl, und versuchen Wege aufzuzeigen, wie es gehen kann. Ich denke, auch hier kann man nicht pauschalisieren.
    Ich habe mit einer Ernährungsmedizinerin gesprochen, die sagt, das sei nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Bildung und der Kultur. Generell bedeutet Umweltgerechtigkeit aber, dass nicht nur die Natur, sondern auch die Schwachen geschützt und mitgenommen werden.
    Es geht darum, jemandem Biomöhren zu ermöglichen, wenn er welche will und knapp bei Kasse ist. Auf keinen Fall geht es darum, jemanden zu zwingen, Biomöhren zu essen.

Weitere Kostenlose Bücher