Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
nicht unser Leben bestimmen. Sonst entfernen wir uns von uns selbst. Von dem, was wir eigentlich wollen. Und was wir brauchen. Ich habe sehr wohl äußere, materielle Ansprüche, keine Frage, und manchmal sind sie nicht klein. Aber es gibt Momente, wenn ich zum Beispiel im Park laufen gehe und Menschen sehe, die Tai-Chi auf dem Rasen machen, Fußgänger sehe, die vertieft in ein Gespräch sind, oder Paare, die sich auf einer Bank küssen, oder wenn ich alte Herren übers Schachbrett gebeugt sehe: In diesen Momenten denke ich: Es ist doch eigentlich so einfach. Oder? Es braucht einen Park und eine Bank für das Glück, nicht mehr – und dann ist alles erst einmal gut, und man ist frei von all dem Druck: was wir anhaben, was wir noch brauchen, was wir noch kaufen müssen.
Eine naive Sicht? Manchmal habe ich sie.
Es geht aber nicht ausschließlich darum, glücklich zu sein. Glück ist erstrebenswert und wichtig, aber Glück kann nicht der alleinige Sinn des Lebens sein.
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Das Vorbild: »Sind Sie ein glücklicher Mensch, Leo Hickman?«
Ich habe erzählt, dass ich kein Aha- oder Erweckungserlebnis hatte im Sinne von: Ich sehe Eisbären auf einer Scholle treiben und von Stund an denke ich nur noch an den Klimawandel. Ich habe auch damals den Film von Al Gore nicht sofort gesehen, der eine ganze Reihe von Leuten dazu gebracht hat, bestimmte Dinge nicht mehr zu ignorieren. Es gibt aber ein Buch, das sehr wichtig für mich geworden ist. 2007 wurde in der Süddeutschen Zeitung das Buch eines Guardian -Journalisten rezensiert, der einen ökologischen Selbstversuch unternommen hat. Das Buch ist von Leo Hickman und heißt Fast nackt . Ich habe es sofort gekauft.
Hickman schildert darin seinen Versuch, ein Jahr lang »ethisch korrekt zu leben«. Es war meines Wissens das erste Buch, in dem ein »normaler« Mensch versucht, wegen des Klimawandels einen neuen und nun »ethischen Lebensstil« hinzubekommen. Es geht in Fast nackt um individuelle Veränderung und darum, herauszufinden, was man tun und was man schaffen kann und wo es wirklich hart wird. Etwa, als Leo sich Würmer anschafft, die seinen Müll kompostieren sollen. Und seine Frau Jane nur schwer mit den neuen Mitbewohnern zurechtkommt.
Ich las das Buch in einem Zug und habe nach der Lektüre erstmals angefangen, tiefgründig zu überdenken, was ich so mache: Welche Lebensmittel kaufe ich, kaufe ich jetzt Tomaten, wenn eigentlich keine Tomatenzeit ist, wo kommen die überhaupt her, wie viele Flugkilometer haben die hinter sich, wie oft fliege ich selbst? So fing es an. Leo Hickman hat in unserer Familie das neue Nachdenken ausgelöst, sodass wir angefangen haben, Dinge anders zu machen.
Hickman selbst hatte 2003 begonnen, sein Leben zu verändern, und war irgendwann auch nicht mehr in Urlaub geflogen, sondern mit dem Zug gefahren. Zum einen wollte ich den Mann kennenlernen, der mich so beeinflusst hatte. Zum anderen wollte ich wissen, wie es ihm mit seinem neuen Leben inzwischen ergangen war. Selbstverständlich auch, um eine Ahnung zu bekommen, worauf ich mich selbst einließ. Wo stand Hickman nach acht Jahren? Lief es gut oder lief es gar nicht mehr, bereute er, dass er sich auf so eine lebensverändernde Reise begeben hatte?
Wir treffen uns in London im Science Museum in der Nähe des Hyde Park, wo gerade eine Ausstellung läuft über die Klimaveränderung in der Geschichte der Erde.
Ich bin aufgeregt. Schließlich ist er eine Art Held für mich. Er hat mich inspiriert, zum Nachdenken und zum Lachen gebracht. Dass ich ihn jetzt in London wirklich treffe, finde ich großartig und wichtig für mich. Er ist sehr groß, sehr ruhig, er wirkt entspannt, offen, neugierig und interessiert.
Hickman ist Jahrgang 1972. Erarbeitet als Klima- und Lebensstilexperte für die Tageszeitung The Guardian, die eine der journalistisch besten Zeitungen der Welt sein dürfte. Er ist für ein Meeting bei seinem Arbeitgeber in die Hauptstadt gekommen. Hickman lebt seit einiger Zeit nicht mehr in London, sondern in Cornwall, im Süden der Insel. »In the countryside«, wie die Briten sagen, also auf dem Land. Was auch eine Folge seiner Beschäftigung mit der Frage war, wie er eigentlich leben will. Seine Frau und er fanden die Idee gut, dass ihre mittlerweile drei Kinder auf dem Land aufwachsen.
Wir verlassen das Museum und schlendern die Exhibition Road hoch, in den Hyde Park hinein, am Diana-Memorial-Brunnen vorbei zum Südufer des Sees, der den Namen The Serpentine trägt. Dort
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