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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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an den falschen Stellen lachten. Nina mochte oberflächlich sein, aber sie stand dazu, und sie war souverän und pragmatisch und hielt es nicht für nötig, ihm zu schmeicheln. In seinem Alter, in seiner Einkommensklasse war das das Beste, was einem Mann passieren konnte.
    Allerdings dachte er manchmal noch an Elisabeta – nicht oft, nicht obsessiv, aber öfter als an jede andere Frau außer Nina. Es war ihm peinlich, es zuzugeben, sogar vor sich selbst, und die Erinnerung an sie war, als erinnerte er sich an alle besonders beschämenden Episoden seines Lebens gleichzeitig: an den Tag, als er gegen ein Computerprogramm verlor; an die Tatsache, dass er einmal auf Lehmböden geschlafen und mit bloßen Händen Hühnern das Genick gebrochen hatte; an sein persönliches Verhalten in den gesamten 1980er Jahren. Warum sollten, wenn er neben einer schönen,in edle, verführerische Stoffe gekleideten Frau im Bett lag, seine Gedanken zu einer drei Jahrzehnte alten Nicht-Beziehung zurückkehren? Aber manchmal taten sie es, selten, selten, und dann war er wieder in der Kommunalka und sah, wie sie mit wild fliegendem Haar gegen die Tür der Verwalterin trommelte, und hörte, wie sie ihre temperamentvollen Flüche ausstieß.
    Solche Gedanken waren Energieverschwendung, und Alexander wusste, dass er seine Kräfte für komplexere Schwierigkeiten, für interessantere Probleme aufsparen musste. Er legte eine Hand um Ninas Hüfte und hielt sie fest, bis sie ihn im Schlaf abschüttelte.
    Als Alexander an dem Tag, an dem der Termin mit der Amerikanerin angesetzt war, das Büro betrat, spielte Boris gerade ein Computerspiel. Boris spielte oft während der Arbeitszeit; dabei habe er die besten Ideen, sagte er. (»Und welche wären das?«, stichelte Viktor dann oft.) Neben ihm schrieb Viktor Stichworte auf eine Papierserviette.
    »Was kritzelst du schon wieder?«, fragte Boris, ohne Viktor anzusehen. Auf dem Bildschirm hüpfte etwas, das für Alexander wie ein pausbäckiger Zwerg aussah, durch eine gelbgrüne Landschaft.
    »Nur ein Dankeschön an deine Mutter für letzte Nacht«, sagte Viktor.
    »Freut mich zu hören, dass du deine Potenzprobleme in den Griff bekommen hast.«
    Alexander hatte sie vor anderthalb Jahren bei einer Demonstration aufgesammelt und hatte sie Botengänge erledigen lassen, bis er sicher war, dass sie es ernst meinten. Viktor hatte vorstehende Brauen und blaue Augen; Boris war ein Stück kleiner und hatte eine schiefe Nase, die Alexander merkwürdig fand, die aber bei Frauen herzzerreißend gut anzukommen schien. Beide waren arrogant, brillant und ständig in Rivalitätskämpfe verstrickt; Alexander sagte gern, wenn sie seine Söhne wären – wenn er Söhne bekommen hätte –, hätte er sie mit achtzehn zu den Landstreitkräftender Russischen Föderation geschickt. Doch sie waren nicht seine Söhne, Gott sei Dank, also ließ er sie einander triezen und sich übertrumpfen, so viel sie wollten, solange es sie auf Trab hielt.
    »Wer hat dir den Stift gekauft, Golubó?«, fragte Boris. »So was Affektiertes habe ich ja noch nie gesehen.«
    »Du bist bloß neidisch, dass ich schreiben kann.«
    Nina hatte ihn für verrückt erklärt, weil er Viktor und Boris so bereitwillig in sein Team aufgenommen hatte. Er redete oft davon, wie seine Sache durch sie endlich Fahrt aufgenommen hatte und dass er selbst dann, wenn sich herausstellte, dass sie für den FSB arbeiteten, einen fairen Tausch gemacht haben würde. Alexander verstand inzwischen – jetzt, da er älter war, als Iwan es je sein würde –, wie verzweifelt Iwan in Nikolai einen Vertrauten hatte sehen wollen, wie sehr er sich nach Bestätigung gesehnt hatte. Alexander ließ Viktor und Boris zusammenarbeiten, weil er wusste, dass sie sich bekriegen würden: Seit er erlebt hatte, wie Nikolai sklavisch an Iwans Lippen hing, hielt er eine gewisse Feindseligkeit unter Kollegen für unverzichtbar. Außerdem waren sie jung – zu jung, um die Bürde ihres eigenen Fehlverhaltens während der Sowjetära zu tragen – und ärgerten alle anderen mit ihrem wohlfeilen Idealismus, ihrer Ignoranz den bedrückenden moralischen Abwägungen gegenüber, die sie nie hatten anstellen müssen. Andererseits konnte das Alternative Russland, wie Alexander oft betonte, ein paar Leute gut gebrauchen, die ethisch unkompromittiert waren. Es gab etliche, die öffentlich ihren Verrat eingestanden hatten, und solche, die stillschweigend so taten, als hätten sie nie einen begangen (unter anderem

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