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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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hoffen, dass Nina der Frau das geben konnte, worum sie bat.
    Nach der Kundgebung, abends im Bett, strich Alexander Nina mit seinen kalten Füßen über die Beine.
    »Hör auf«, sagte sie. »Du bist ein grausamer Mensch.«
    »Findest du, die Kundgebung ist gut gelaufen?«
    »So gut wie immer«, sagte Nina, was so gut wie gar keine Antwort war. Alexander wünschte sich manchmal, es wäre ihm weniger wichtig, was Nina von ihm hielt; sie waren verheiratet, und er war reich, und sie war schön, und das sollte ihm genügen, und doch zerbrach er sich manchmal den Kopf über die Distanz zwischen ihnen, steckte seine Finger in die Bruchstellen und riss sie nur noch weiter auf. Heute schaffte er es, den Mund zu halten.
    »Ich wünschte, du könntest den Satz mit dem Ermorden weglassen«, sagte Nina.
    »Du sagst doch immer, ich mache mir zu viele Sorgen.«
    »Machst du ja auch. Mit dem Satz machst du dir in aller Öffentlichkeit Sorgen. Das ist nicht männlich.«
    »Soll ich jetzt gleich mal etwas Männliches tun?«
    »Heute lieber nicht.« Sie küsste ihn trocken auf die Wange und drehte sich weg. »Tut mir leid, Grib.« Er hatte es noch nie gemocht, dass sie ihn »Pilz« nannte – erst, weil er fürchtete, dass er wie ein Pilz aussah (dunkel, pausbäckig und untersetzt), und dann, weil er fürchtete, sich wie ein Pilz zu verhalten (verstohlen im Dunkeln vor sich hin zu brüten, wo niemand es sah). Aber Nina antwortete nur, das sei Unsinn – sie liebe Pilze, und sie liebe ihn –, und fuhr fort, ihn »Grib« zu nennen, und er hörte auf zu protestieren.
    »Wer war denn die Frau da bei der Kundgebung?«, fragte Alexander.
    »Weiß ich nicht genau. Eine ziemlich seltsame Amerikanerin.«
    Alexander legte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf mit der Hand. »Ein Fan von mir?«
    »Vermutlich«, sagte Nina und zog gähnend ihre Nase kraus. Das war wieder so etwas: Sie hätte doch ein winziges bisschen Eifersucht durchblicken lassen können, wenn eine junge Amerikanerin um die halbe Welt reiste, um ihn zu treffen, hätte zumindest flüchtig den Gedanken streifen können, dass viele, viele Frauen einiges für so eine Gelegenheit hergegeben hätten, dankbar gewesen wären,mit ihm sprechen zu dürfen, und sich nicht wegdrehen würden, wenn sie neben ihm lägen.
    »Ging es um Schach oder Politik?«, fragte Alexander.
    »Weiß ich nicht.« Ninas Stimme rutschte knarrend und widerstrebend in den Schlaf. »Ich habe ihr für Mittwoch einen Termin gegeben. Nimm Vlad mit.«
    »Ich nehme immer Vlad mit«, sagte Alexander. Eine Besucherin aus Amerika war ungewöhnlich. Seine Schachfans waren normalerweise Russen und fast immer männlich. Aber er hätte gleich gemerkt, wenn sie die Vertreterin irgendeiner NGO gewesen wäre; dann hätte sie ein professionelleres Auftreten gehabt und hätte nicht seine liebe Frau damit verschreckt, ihr kläglich im Schnee etwas vorzuzittern.
    »Sie ist eine amerikanische Hochschuldozentin«, sagte Nina noch.
    »Ach ja?« Alexander setzte sich auf. In seinem Hinterkopf begann sich etwas zu verknüpfen – irgendetwas begann Form anzunehmen, wie Teeblätter, die ein Symbol ergeben.
    »Was ist?«, fragte Nina, doch in ihrer Stimme lag die tiefe Gleichgültigkeit der Erschöpfung.
    »Ich bin gleich wieder da.«
    »Was ist denn?«
    »Ich komme gleich wieder.«
    Er ging in sein Arbeitszimmer, knipste das Licht an und begann seine Notizen durchzusehen. Letzte Woche bei der Sicherheitsbesprechung war von einer amerikanischen Dozentin die Rede gewesen. Alexander hatte ein paar Jahre zuvor Geld investiert, um einen niedrigrangigen FSB-Agenten umzudrehen – Grigori, einen bubengesichtigen Hanswurst aus Nischni, der beim ersten Mal gezittert hatte wie Espenlaub und versucht hatte, eine höhere Summe auszuhandeln –, der seitdem regelmäßig Alexanders Akte fotokopierte. Im Großen und Ganzen hatte sich die Aktion als gewaltige Geldverschwendung erwiesen. Doch bei dem letzten Treffen hatte Grigori etwas Merkwürdiges gesagt – man hatte ihm gleich angesehen,dass er mehr in petto hatte als das übliche vorhersehbare Gewäsch, weil er noch selbstzufriedener und widerwärtiger wirkte als sonst – und sich mit ausgestreckten Beinen in seinem Stuhl zurückgelehnt.
    »Die denken, du hast einen neuen Boss«, hatte er gesagt und dabei gegrinst.
    Alexander hatte gegen das Tischbein getreten. »Ich habe keinen verdammten Boss«, sagte er. Vlad brachte ihn mit seinem starren Blick zum Schweigen. Alexander hatte sich nie daran

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