Das Leben ist groß
durch diese Schachpartie winden musste. Sogar meine Arme wurden rot.
»Lassen Sie ihn absichtlich gewinnen?«, fragte der Mann.
Lars schnaubte verächtlich.
»Nein«, sagte ich. »Ich lasse nie jemanden gewinnen.«
»Egal bei was?«
Ich war nicht mehr sicher, wovon die Rede war. »Nicht, wenn ich es verhindern kann«, sagte ich. Mir fiel selbst auf, wie sinnlosdas klang, schließlich verlor ich gerade – wie immer – gegen Lars, und so wurde eine Art umgestülptes Eigenlob daraus.
»Und das kann sie nie«, sagte Lars. »Sie kann es nie verhindern. Sie verliert immer.« Offenbar wollte Lars in diesem Punkt für unmissverständliche Klarheit sorgen. Mir erschloss sich nicht ganz, warum. Immerhin gab es einen Dollar zu verdienen.
Wir spielten. Ich registrierte befangen, wie meine Hand den Springer umschloss, und ließ sie nach dem Zug befangen einen Moment lang dort verharren. Ich spürte, wie ich zwischen den Zügen ruhelos meine Hände knetete. Ich spürte, wie ich mein Haar zwirbelte (obwohl ich sonst keine sehr ambitionierte Haarzwirblerin bin). Herr im Himmel, dachte ich. Was ist denn jetzt los?
Ich verlor schneller als sonst.
»Bitte schön, Sie sind dran«, sagte ich zu dem Mann und stand ein wenig zu hektisch auf. Ich fühlte die Luft zwischen uns, die mir auf einmal zu dicht und zu dünn zugleich vorkam. Irgendwie, merkte ich, würde sich zwischen diesem Mann und mir nie eine akzeptable Distanz finden lassen; jeder Grad der Nähe und Entfernung würde gleichermaßen unerträglich sein. Ich stand auf, und er setzte sich. In meinen Ohren dröhnte es wie von einem sich nähernden Güterzug.
»Bleiben Sie doch«, sagte der Mann. »Damit Sie mal sehen, wie man es richtig macht.«
Die beiden spielten, und der Mann war grottenschlecht, viel schlechter, als ich es bin. Er kannte die Regeln kaum – anscheinend verwechselte er Schach mit Dame – und verlor dramatisch, mit viel Elan und bester Laune. Lars dagegen wirkte zunehmend verärgert, trotz des Dollars, den er gewinnen würde. Er schien zu ahnen, dass bei dieser Partie anderes auf dem Spiel stand als der Sieg auf dem Brett, und das störte ihn. Er nahm Schach sehr ernst und konnte es nicht leiden, wenn jemand es für niedere Zwecke missbrauchte. Nach dem letzten Zug ignorierte er die ausgestreckte Hand seines Gegners.
»Das ist kein Parcheesi«, sagte Lars.
»Ich weiß«, sagte der Mann.
»Kommen Sie erst wieder, wenn Sie geübt haben«, sagte Lars. »Ich bin ein vielbeschäftigter Mann.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.«
»Muss wohl Pech gewesen sein«, sagte ich zu dem Mann.
»Absolut«, sagte er und stand auf. »Ich bin normalerweise unschlagbar.«
»Das glaube ich sofort«, sagte ich.
»Ich heiße Jonathan«, sagte er. »Soll ich Ihnen vielleicht bei Gelegenheit ein paar Tipps geben?«
Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Er war witzig, ja, und klug, aber in Boston gab es jede Menge witzige und kluge Männer. Witzige und kluge Menschen mit Hochschulabschlüssen, die in den U-Bahnen Zeitung lesen, sind der Exportschlager der Stadt. Ich will auch nicht allzu sehr ins grausige Detail gehen – ich persönlich finde anderer Leute Beziehungsgeschichten nur widerlich. Wenn die Kids in meinem Büro damit anfingen, setzte ich Kopfhörer auf und zog mir die neueste Frontline -Folge aus dem Netz.
Doch so viel soll gesagt sein: Es vollzog sich alles so zwangsläufig wie bei einer von vornherein verlorenen Schachpartie. Wir verabredeten uns zu unserem ersten Kaffee, der zum ersten Galeriebesuch führte, und der zum Sex – dem ersten nach langer, langer Zeit. Seine Lippen streiften meinen Hals, und vielfarbige Sonnensysteme barsten hinter meinen Augenlidern, und ich staunte über das ungewohnte Gefühl, meinen Körper nicht zu hassen. Danach zog ich mit den Fingerspitzen seine perfekten Rundungen nach, die kräftige Wölbung seines perfekten Gehirns – perfekt, weil es nicht verdammt war, nicht verdammter als andere jedenfalls – und stellte fest, dass ich ihm diese Normalität nicht einmal übelnahm. Und das, fürchte ich, war es dann.
Es war ein guter Frühling. Meine Abreise aus Boston hat ihn in ein bittersüßes Licht getaucht, in dem alles einen Hauch von Tragikbekommt, doch zu der Zeit war davon nichts zu spüren. Jonathan und ich tranken Kaffee und unterhielten uns und schwiegen wieder. Wir spazierten durch die regennassen roten Backsteinstraßen von Cambridge. Wir sahen zu, wie das Citgo-Schild vor dem Abendhimmel seine Farben
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