Das Leben ist zu kurz für Knaeckebrot
Und ich hatte es schon immer:
› Ich bereite meinen Eltern nur Kummer.
› Ich habe meine Vokabeln wieder nicht gut genug gelernt.
› Wenn ich nicht so faul wäre...
› Ich müsste mich besser vorbereiten...
› Wenn ich mich im Griff hätte...
› Ich hätte mich mehr um meine Kinder kümmern müssen.
› Ich müsste eine bessere Tochter sein.
› Ich war heute nicht so gut, wie ich sein könnte...
Ein schlechtes Gewissen ist ein grausames Ruhekissen. Und jetzt stellt sich heraus: Ein schlechtes Gewissen macht auch dick. Denn eine schnelle Methode, um ein schlechtes Gewissen zu beruhigen, ist Essen, vor allem das Essen von Süßigkeiten. Hast du schlechte Gefühle, das weiß jeder Psychologe, dann suchst du eine Möglichkeit, gute Gefühle dagegenzusetzen. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch, dem es schlecht geht, braucht positive Emotionen,
damit es ihm wieder besser geht. Da wirkt Essen sehr schnell. Und: Es ist immer in Reichweite. Man kann aufhören, Zigaretten oder Schnaps zu kaufen, aber essen muss man.
Kein Mensch tut etwas ohne Grund!
Ich glaube, Sie verstehen, dass ich nichts rechtfertigen, nichts entschuldigen oder verharmlosen will. Ich will verstehen, was der Reiz des Essens ist. Warum es bei vielen Dicken so eine wichtige Rolle im Leben spielt. Warum es stärker ist als der Wille, als die Vernunft, als gute Vorsätze, als das Drohen mit frühem Herztod.
Ich will Wege aus der Selbstbeschimpfung und Selbstverachtung finden. Deshalb dieser Ausflug in meine Vergangenheit, der Wunsch aufzuspüren, worin das Geheimnis des Essens liegt. Weil ich glaube, dass diese Erkenntnisse auch für andere ehrliche Dicke oder selbstkontrollierte Vielesser gilt. Nochmal: Wir sind nicht zu blöd zum Abnehmen, wir müssen herausfinden, was uns Essen bringt - dann haben wir einen Ansatzpunkt. »Kein Mensch tut etwas ohne Grund« - über diesen Satz rede ich oft. Und hier passt er hin.
Schon Kinder lernen, dass Essen tröstet. Sie bekommen die Flasche oder den Schnuller, wenn sie schreien. Sie bekommen Süßigkeiten als Belohnung, nach guten Noten wird ihnen das Lieblingsgericht gekocht. Bei uns gab es sogar Essen als Weihnachtsgeschenk: Jedes Jahr zu Weihnachten bekam ich von meiner kleinen, dicken Oma Clara (die wohl ihr Leben lang unglücklich war, sie hat leider so gut wie nie geredet), einen kleinen Camembert ganz für mich alleine. Ich habe immer schon gerne Camembert gegessen. Aber in der großen Familie gab es halt beim Abendbrot ab und zu
nur ein kleines Stück für jeden. Meinen Weihnachts-Camembert durfte ich ganz alleine aufessen.
Was ist das Verführerische an Camembert (und es muss reifer Camembert sein)? Er ist weich, schmelzig, sanft, fett, klebrig, er lässt sich mit der Zunge zerdrücken, man muss ihn nicht kauen. Er erzeugt das geilste Gefühl, das ich mir im Mund vorstellen kann. (Oh Gott, denken Sie gerade, was ich auch denke? Fett, klebrig, weich. Nein, ich wurde nicht gestillt. Nein, ich möchte keine Psychoanalyse machen.)
Noch heute kaufe ich mir ab und zu so ein Stück schon leicht fließenden französischen Camembert und esse ihn meist ganz allein auf, weil mein Mann sich nicht so viel daraus macht. Gibt es bei Ihnen so ein Lieblings-, Trost- oder Glücklichmach-Essen? Ich finde, wir sollten es in Ehren halten. Ich finde, wir dürfen gern essen. Wir dürfen genießen und uns verwöhnen. Essen ist nicht unser Feind! Es gibt uns Kraft, macht froh, macht stark. Doch mehr dazu später.
Mein Mann hat mir einmal gesagt: »Manchmal schaust du ganz glücklich aus, wenn du isst. Du legst den Kopf ein bisschen schief, stapelst ganz konzentriert verschiedene Sachen von deinem Teller zu kleinen Kunstwerken auf der Gabel auf, und dann schiebst du dir den Bissen lächelnd in den Mund. Manchmal brummst du sogar.« Also, ich brumme überhaupt nicht, ich mache vielleicht »Hmmm«.
Viele Menschen sieht man beim Essen so konzentriert schaufeln, spachteln, schlucken - ohne Pause. Während der eine Bissen gerade im Mund verschwunden ist, wird der andere schon aufgehäuft. Menschen beim Essen sind oft regelrecht in Trance. Unsere Essgeschwindigkeit ist eintrainiert. Wir denken nicht mehr nach, gucken gar nicht hin, sondern lesen Zeitung, schauen fern, unterhalten uns, sind in Gedanken.
Bei den L-Lösungen werde ich darauf eingehen, wie Geistesgegenwart und Achtsamkeit uns helfen können, aus der Trance zu erwachen, den Trott abzustreifen und Gewohnheiten zu verändern. Vorher gucken wir uns noch
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