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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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passiert. Mrs. Shapiro ist entführt worden«, platzte ich heraus. Ich wollte die Dinge nicht noch komplizierter machen, indem ich die Leiche erwähnte.
    »Ganz ruhig. Beruhigen Sie sich, Mrs. Sinclair. So, und jetzt atmen Sie tief ein.
Ein - zwei - drei - vier.
Und jetzt atmen Sie hörbar aus.
Zwei - drei - vier -
gaaanz ruhig.«
    Ich folgte ihren Anweisungen. Der Knoten in meinem Magen löste sich und meine Fäuste wurden wieder zu Händen.
    »Gut gemacht. Was wollten Sie gerade sagen?«
    Ich versuchte ihr zu erklären, dass Mrs. Shapiro entführt worden war und gegen ihren Willen festgehalten wurde, so lange, bis sie ihr Haus überschrieb. Ich vermied es, Mrs. Goodney direkt zu beschuldigen, aber Ms. Baddiel regte sich sowieso mehr darüber auf, dass Mrs. Shapiros Recht der freien Wahl der Lebensführung verletzt wurde.
    »Sie hat eine Reihe von Möglichkeiten. Wenn sie zu Hause leben soll, muss ihre Wohnung ihren Bedürfnissen angepasst werden. Ein Bett nach unten zu räumen und aus einem Wohnzimmer ein Schlafzimmer zu machen, ist das Leichteste. Schwieriger wird es, unten ein Bad einzurichten. Oder es wird ein Fahrstuhl eingebaut. Ein Treppenlift geht auch.«
    »Mhm. Ja. Gute Idee. Im Moment sind ein paar Männer dort und führen Reparaturen durch. Ich könnte fragen ...«
    »Perfekt.«
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie Mr. Ali und die Nichtsnutze einen Treppenlift installierten. Hm. Nein.
    »Früher gab es Zuschüsse für solche Umbauten, aber leider muss so etwas heute in den meisten Fällen selbst finanziert werden. Wissen Sie zufällig, ob sie etwas auf dem Konto hat?«
    Ich dachte an die Quittungen von den Gebrauchtwarenläden, die ich in ihrem Sekretär gefunden hatte.
    »Ich weiß es nicht genau. Ich frage sie.« Auch wenn ich mir todsicher war, dass sie mir nichts sagen würde. Mir sank der Mut. Dann versuchte ich mir vorzustellen, wie ich sie stattdessen überredete, einen Treppenlift einbauen zu lassen.
    »Und wir würden das Versorgungspaket erweitern. Ich nehme an, es hat das letzte Mal gut geklappt?«
    »Ja. Sehr gut. Wunderbar.«
    Wir verabredeten uns für Freitag am Haus. Ich wollte sichergehen, dass die Nichtsnutze vorankamen und dass das Haus zumindest einen bewohnbaren Eindruck machte. Ms. Baddiel würde in der Zwischenzeit Northmere House einen Besuch abstatten und die Bedingungen von Mrs. Shapiros Kerkerhaft unter die Lupe nehmen.
    »Das ist eine Verletzung der Menschenrechte«, sagte sie zuversichtlich mit ihrer Pfirsichstimme.
     
    Am Mittwochnachmittag machte ich mich wieder auf den Weg zum Northmere House, um Mrs. Shapiro zu besuchen. Ich nahm die Nummer 56 von der Balls Pond Road, und im Bus musste ich eingeschlafen sein (oder
in
Schlummer gesunken,
wie Ms. Firestorm es ausdrücken würde), denn als ich aus dem Fenster sah, waren wir längst auf der Lea Bridge Road, und ich hatte meine Haltestelle verpasst. Hastig klingelte ich und rannte die Treppe hinunter, und als der Bus endlich hielt, fand ich mich vor einer vertraut fröhlichen orange-grauen Fassade wieder. Eine B&Q-Baumarkt-Filiale! Das muss Schicksal sein, dachte ich.
    Die B&Q-Filiale wirkte billiger als die in Tottenham und war fast leer, so dass eine ehrwürdige Stille herrschte - wie in einem Tempel, dachte ich, der einem seltsamen Kult gewidmet war. Die hohen Decken und hallenden Gänge, die Atmosphäre stiller Andacht, die Messdiener, die mit gesenkten Köpfen herumliefen, die seltsamen Objekte der Verehrung, die Mysterien. Außer mir war nur noch eine Frau im Laden, eine umwerfend schöne Inderin mit einem glitzernden Nasenpiercing, die an einer der Kassen saß. Mit der Miene einer leicht gelangweilten Priesterin wies sie mir den Weg zu den Klebstoffen in Gang 29.
    Cyanoacrylat AXP-36C. Ich zog Mrs. Browns zerknitterten Briefumschlag aus der Tasche und sah mir die Etiketten auf den Packungen an. Es war leicht, zwischen PVA, den Epoxidharzen und den Acrylharzen zu unterscheiden, doch etwas mit dieser exakten Formel konnte ich nicht finden. Auf einigen Etiketten wurde vor Missbrauch gewarnt. Ich ging die Packungen durch und suchte nach den schrecklichsten Warnungen.
    Nach einer Weile tauchte ein netter, kumpelhafter Typ auf und fragte, ob ich Hilfe brauchte. Ich zeigte ihm meinen Zettel. Er musterte ihn eine Weile nachdenklich, dann fragte er: »Wofür brauchen Sie das, junge Frau?«
    Ich bemerkte, dass er das Wappen der Bergarbeitergewerkschaft von Kent auf den Unterarm tätowiert hatte. Seltsam, dachte ich; wenn ich

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