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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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doch es nutzte nichts. »Süße heilige Georgina ... erzähl mir von der Liebe ...« Und die Vorstellung, dass ich einst von einer Entourage junger Dichter geträumt hatte! Am Ende musste ich die Lust vortäuschen. Später, als ich verkrampft und verschwitzt in seinen Armen lag, er mein Haar streichelte und wieder sein Taschentuch herauszog, erinnerte ich mich plötzlich an die erste Nacht mit Rip in seiner Dachgeschosswohnung in Chapeltown. Wir hatten zusammen zwischen den zerknitterten Laken gelegen und zugesehen, wie das Kerzenlicht zuckende Schatten an die schräge Decke warf, und dann hatte er ein zerlesenes Buch aus dem Regal genommen und mir John Donnes
Sonnenaufgang
vorgelesen.
»Sie ist alle Länder, und alle Fürsten bin ich. Sonst gibt es nichts.«
    Was war aus
diesem
Rip geworden - nicht dem überaktiven Rip, der ständig die Entwicklung der Zukunft prägen musste, sondern dem anderen Rip, der verspielt wie ein Welpe war, neugierig, lustig, idealistisch, der Donne und Marvell las, wenn wir uns liebten, und der mir morgens Toast mit Marmite brachte? Was war aus ihm geworden? Der Schmerz des Verlusts fuhr mir wie ein Messer ins Herz, und ich krümmte mich. Was machte ich hier? Warum war ich mit diesem Mann im Bett?
    »Warum sagst du >Ihr seid< und >Euch    »Gefällt es dir nicht?«
    »Doch, aber ... es klingt ein bisschen altmodisch.«
    »Für mich bist du - wie soll ich sagen - wie ein Mädchen aus der alten Zeit, Georgina.« Er ließ den Finger über meinen Hals wandern. »Aber wenn es dir nicht gefällt, ändere ich es, Liebling.«
    Das Problem war, wurde mir in diesem Moment klar, ich wollte, dass er böse und wölfisch war. Seine sentimentale wachsweiche Seite wollte ich nicht. Und ganz bestimmt nicht seine Gedichte.
    »Nein, schon gut. Es gefällt mir. Aber ... dann müsste es auch >erzählt mir< heißen und nicht >erzähl mir<.«
    Kaum hatte ich es ausgesprochen, bereute ich es. Ich wollte ihm nicht wehtun -es war nur mein Englisch-Magister, der sich zum falschen Zeitpunkt zu Wort meldete.
    »Erzählt mir?« Er klang tief verletzt.
    »Aber es ist ein schönes Gedicht. Es ist romantisch. Bitte! Lass es genau so wie es ist!«
    Doch er war schon aufgestanden und zog seine ordentlich gefalteten Kleider an. »Mark, du hast vergessen ...« »Erzählt mir!«
    Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken, dann war er fort.
    Ich lag eine Weile da und dachte über das Gedicht nach. Es war nicht nur der Archaismus, der mich störte, es war die schwache Metapher mit dem heiligen Georg und dem Drachen, die zusammengeschusterten Verse, die nebeneinanderstanden wie schiefe Zähne. Man hätte ein wenig mehr Gefühl für Rhythmus von ihm erwarten können. Eine plötzliche, lebhafte Erinnerung erwischte mich kalt: Es war das erste Mal, dass Rip und ich zu Weihnachten nach Holtham fuhren. Rip legte, während ich fuhr, die Hand zwischen meine Schenkel und las mir John Donnes
Nachtstück auf die heilige Luzia
vor, während wir durch die winterlichen Berge fuhren, schroffe Hänge mit braunem Heidekraut bewachsen, dessen neue Triebe sich bereits durch das schwarze feuchte Moor bohrten.
»Ich bin jedes tote Ding, in dem die Liebe eine neue Alchemie erzeugt.«
Er entfachte eine solche Leidenschaft in mir, dass wir am nächsten Parkplatz anhalten mussten. Es ist nicht leicht, auf der Rückbank eines Mini Liebe zu machen, aber ich erinnerte mich, dass unsere Körper zusammenpassten wie die beiden Schalen einer Muschel.
    Mit der Erinnerung kam ein schwerer Anfall von Sehnsucht nach Rip - nach seinem warmen, festen Körper, seinem wachen, klugen Kopf. Trotz des an Arroganz grenzenden Selbstvertrauens der Sinclairs, trotz des Zukunftsentwicklungsprojekts, trotz der Vernachlässigung seiner Heimwerkerpflichten und der nervenden BlackBerry-Gewohnheiten, ja, sogar trotz der rotmundigen Schlampe, er war immer noch der Vater von Ben und Stella; ja, und er war immer noch der Mann, den ich liebte. Vielleicht war es an der Zeit -vielleicht sollte ich aufhören, mit anderen Männern herumzumachen, und anfangen, meine Ehe zu kleben.
     
    Da schlug die Haustür zu. Es musste Ben sein, der von der Schule nach Hause kam. Ich setzte mich auf und ... nein, ich versuchte mich aufzusetzen, doch meine Handgelenke waren immer noch an das Kopfteil gefesselt. Ich zog. Nichts passierte. Wütend zog ich fester, doch der Klettverschluss hielt. »Mum?«, rief Ben von unten.
    »Hallo, Ben. Ich mache hier schnell noch etwas fertig. Ich

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