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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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statt Mr. Ali ihm begegnet wäre, als ich neulich im Baumarkt nach dem Türschloss suchte, hätte es einen anderen Verbindungspunkt gegeben und eine ganz andere Geschichte.
    »Es ist ... also ... nur so, für den normalen Hausgebrauch.« Ich lächelte geheimnisvoll, griff nach ein paar Sekundenklebern und warf sie lässig in meinen Einkaufskorb.
    Aus reinem Interesse lief ich noch durch den Gang mit den Klobrillen. Obwohl sie exotische Namen trugen - Chamonix, Valencia, Rossini - waren sie nicht besonders aufregend. Es gab keine, die Musik spielten oder beleuchtet waren, wie man sie manchmal in den Werbebeilagen der Sonntagszeitung sah - Klobrillen, die neugierige Hintern anziehen sollten. Für so etwas musste man ins Internet gehen. Idealerweise brauchte ich eine, die eine lächerliche, aber eingängige Melodie wie
Jingle Beils
oder
Alle meine Entchen
spielte, und zwar so lange, bis der Benutzer wieder aufstand -
falls
er je wieder aufstand!
    Als mir auf dem Rückweg einfiel, dass ich eigentlich zu Northmere House wollte, hatte ich die Bushaltestelle schon wieder verpasst. Mrs. Shapiro würde noch einen Tag warten müssen. Ich war von einer angenehmen Zufriedenheit erfüllt, als ich dort auf meinem Lieblingsplatz saß, ganz vorn im Oberdeck, mit meinen Einkäufen auf dem Schoß, und die wechselnden Muster aus Wolken und Licht genoss, während der Bus die Lea Bridge Road hinunterzuckelte.
    In Clapton stieg eine Gruppe Schüler ein, die kichernd miteinander rauften. Zuerst fiel mir gar nicht auf, dass sie alle kleine Kappen trugen. Sie kamen nach oben und stürzten sich auf die Vorderbank neben mir, alle vier, wobei sie versuchten, einander mit ihren Rucksäcken aus dem Weg zu schubsen. Mrs. Shapiros Geschichte war mir noch frisch im Gedächtnis, und ich wollte die Jungen nach ihren Eltern und Großeltern fragen - nach den Ländern, die sie verlassen hatten, nach den Reisen, die sie hinter sich hatten. Aber warum sollten sie sich über die alten schmerzhaften Geschichten den Kopf zerbrechen? Diese Jungen waren keine Exilanten. Sie redeten von einer ihrer Lehrerinnen, die anscheinend bei einem Westlife-Konzert mit einem offenherzigen Kleid gesehen worden war. Lass die Kinder, dachte ich. Lass sie glücklich sein. Während wir durch die Baumwipfel rumpelten, schloss ich die Augen und spürte durch die Lider, wie das strahlende Frühlingslicht über mein Gesicht spielte: dunkel-hell-dunkel-hell-dunkel-hell. Ein paar Haltestellen weiter, an der Balls Pond Road, stieg ich aus und hörte immer noch das fröhliche Lachen, als der Bus davonfuhr. Lass sie glücklich sein, solange sie können.
    Als ich in unsere Straße einbog, sah ich, dass ein Wagen vor dem Haus stand. Ein schwarzer Wagen. Ein Jaguar. Ich blieb stehen. Wie lange hatte er auf mich gewartet? Seit dem Debakel mit Nathan war eine öde Leere in mir. Jetzt spürte ich, wie mein Herz schneller schlug, eine Frequenz zwischen Panik und Vorfreude. Oder vielleicht fühlte ich mich einfach auf unerklärliche Weise hingezogen. Im Weitergehen überlegte ich, was ich sagen sollte. Die Fahrertür ging auf, und er trat auf die Straße, seine ganzen schlanken hungrigen hundertneunzig Zentimeter, mit einem Blumenstrauß in der Hand - blaue Iris. Mein Herz machte einen Hüpfer.
    »Bist du unter die Heimwerker gegangen, Georgina?« Neugierig musterte er die B&Q-Tüte. »Hast du Zeit für ein kurzes Gespräch? Über Canaan House? Es gibt da ein paar ... äh ... Entwicklungen, von denen du wissen solltest.«
    » Entwicklungen? «
    Ich sah auf die Uhr. Es war gerade drei.
    »Es muss aber schnell gehen. Ben kommt bald heim.«
    Ich bemerkte, dass er ein frisches Taschentuch in der Brusttasche hatte, und trotz meiner Entschlossenheit durchlief mich ein Pawlow'sches Beben.
    »Ich dachte, du solltest wissen ... mein Kollege Nick Wolfe. Du hattest recht. Seine Absichten sind nicht ehrenhaft. Ganz und gar nicht ehrenhaft.«
    »Komm lieber herein.«
    Er folgte mir ins Haus. Auf dem Weg in die Küche stopfte ich die B&Q-Tüte ins Regal im Arbeitszimmer auf halber Treppe, dann setzte ich den Kessel auf. Während das Wasser heiß wurde, stellte ich die Iris in eine Vase. Sie erinnerten mich an Mrs. Shapiros Toilettenschüssel. Er stand dicht bei mir und sah mir zu. Durch den Zentimeter Luft, der zwischen uns war, spürte ich die Hitze seines Körpers, und eine angenehme Wärme breitete sich in meinem Schoß aus - die schamlose (zwickellose) Frau machte einen Überraschungsbesuch. »Erzähl«,

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