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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Tante mit ganz anderen Augen, und ich muss zugeben, dass ich ein wenig eifersüchtig war.
    »Von diesem Treffen kam er nie zurück«, fuhr meine Tante mit unüberhörbarem Zorn in der Stimme fort. »Damals war er schon mit Jael zusammen, und der kleine George war noch kein Jahr alt.«
    Jael war damals mit meinem Vater befreundet gewesen. Sie zog bei ihm ein, als Tante Marsat bei ihm wohnte. Kurz bevor er starb, hatte Jael ihm einen Sohn geboren: George.
    Ich nickte. Ich wollte, dass sie weiter von meinem Vater erzählte.
    »Jael und ich machten uns Sorgen, als es später und später wurde und er nicht auftauchte. Wir versuchten uns einzureden, dass er nach dem Treffen ausgegangen war. Doch am nächsten Tag war er immer noch nicht da.« Meine Tante rieb sich die Augen, und eine Sekunde lang dachte ich, sie würde in Tränen ausbrechen.
    »Wir warteten den ganzen Tag, hörten aber nichts von ihm. Am nächsten Morgen beschlossen wir, bei ihm im Ministerium nachzufragen.«
     
    An jenem Tag, als Tante Marsat und Jael erfolglos Nachforschungen im Büro meines Vaters anstellten, traf die überführte Leiche einer Studentin, die in Indien durch eine Gasexplosion ums Leben gekommen war, in Nairobi ein. Die Tote gehörte wie mein Vater dem Volk der Luo an. Als ihre Verwandten sie vom Flughafen abholten, um sie ins staatliche Leichenschauhaus zu bringen, entdeckten sie dort den Leichnam meines Vaters, der bei den Luo sehr bekannt war.
    »Sie trauten ihren Augen nicht, deshalb erkundigten sie sich in seinem Ministerium nach ihm. Doch genau wie wir trafen sie ihn dort nicht an. Also riefen sie Odima an. Der wiederum setzte sich mit seinem Freund Okech in Verbindung. Beide suchten das Haus deines Vaters auf, um sich nach ihm zu erkundigen.«
    Nur Jael habe sich in dem Reihenhaus in Upper Hill aufgehalten, sie selbst, fuhr meine Tante fort, hätte bei ihrer älteren Schwester Zeituni um Rat nachgefragt. Jael konnte den beiden Besuchern nur mitteilen, dass sie noch nichts von meinem Vater gehört hätte. Daraufhin hätten sich Odima und Okech zu meiner Schwester Zeituni begeben.
    »Ich traute meinen Ohren nicht«, berichtete Tante Marsat weiter. »Was die beiden mir über den Leichnam deines Vaters sagten, versetzte mich in einen regelrechten Schockzustand. Verwirrt verließ ich das Haus. Die Bediensteten merkten offenbar, wie orientierungslos ich war, denn sie liefen hinter mir her. Sie hielten den Bus für mich an, und ich stieg ein und saß wie erschlagen auf meinem Platz.«
    Erst während der Fahrt wurde Tante Marsat langsam bewusst, was geschehen war. Sie wollte zu meinem Bruder, und als sie bei Abongo ankam, hatte sie sich so weit gefasst, dass sie mit Emmy, Abongos damaliger Freundin, sprechen konnte. Mein Bruder selbst war nicht zu Hause. Tante Marsat überbrachte Emmy die Todesnachricht und schickte sie auf die Suche nach Abongo. Danach machte sie sich wieder auf den Weg nach Upper Hill. Dort traf sie ihre Schwestern Zeituni und Nyaoke, die Älteste der Familie, an, die sich inzwischen dort eingefunden hatten.
    Einige Stunden später erschien auch Abongo und kurz darauf meine Mutter und Tante Jane. Immer mehr Leute versammelten sich im Haus, und das Weinen, das bei den Luo als höchstes Zeichen der Ehrerbietung gegenüber einem Toten gilt, übertönte alle anderen Geräusche.
     
    »Weißt du Auma«, sagte meine Tante, »als man deinen Vater an der Unfallstelle fand, hatte er noch seine teure Armbanduhr im Wert von mehreren tausend Kenyan Shilling und all seine Papiere bei sich. Er trug sogar seine Brille.«
    Sie holte tief Luft, als wolle sie sich und mir Zeit lassen, zu verdauen, was sie soeben gesagt hatte.
    »Das Auto, das er fuhr, war als Wagen des Ministeriums gekennzeichnet. Doch jemand muss ihn aus dem Auto geholt und ins Leichenhaus gebracht haben, ohne die Familie zu benachrichtigen.« Sie seufzte tief. »Seine Leiche lag zwei Tage dort, bevor man sie identifizierte.«
    Ich schluchzte heftig. Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, und nur mit Mühe konnte ich meine Tränen zurückhalten. Mir war bleischwer ums Herz, und ich fühlte mich vollkommen hilflos. In diesem Moment wünschte ich mir, dass ich ein paar Jahre zuvor geselliger gewesen wäre und den Umgang mit den Großen und Mächtigen in Nairobi nicht gemieden hätte. Dann hätte ich jetzt gewusst, an wen ich mich hätte wenden können, um herauszufinden, was hinter dem Tod meines Vaters steckte.
    »Erst nachdem die Verwandten der Studentin aus Indien

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