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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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eine natürliche Bescheidenheit. Sie bemißtrauten sie im geheimen.
    Zwischen ihr und denen, die sie jetzt umgaben, schien eine dicke, hohe Mauer aufgerichtet zu sein, unsichtbar zwar, aber jeden Augenblick fühlbar.
    Oft rätselte der Maxl darüber nach, wenn er sein Weib beobachtete. Es war ihm, als habe die Resl sich freudlos in ein notgedrungenes Geschick gefunden wie etwa eine verkaufte Sklavin.
    Einmal saßen Lorenz und Maxl noch eine Weile in der Stube, nachdem alle anderen zu Bett gegangen waren.
    »Sag einmal, Lorenz – aber sag’s mir ehrlich«, fing der Maxl unsicher zu fragen an, »was meinst eigentlich du zur Resl? Hab’ ich da die Richtige genommen?« Er schaute mißgestimmt auf seinen Bruder.
    »Die Resl?« erwiderte der Lorenz ruhig, »da fehlt nichts. Ordentlich und brav ist sie und hält das Haus zusammen. Keiner kann was sagen gegen sie.«
    Der Maxl überlegte kurz und runzelte die Stirn: »Jaja! Jaja! Brav! Brav!« meinte er sodann unmutig, »das ist ja alles recht und gut! Das schon! Soweit fehlt nichts, jaja! Rakkern und arbeiten tut sie wie kaum wer. Sparen kann sie, hausen und rackern tut sie, und brav, brav, zu brav ist sie! Aber was fang’ ich denn mit dieser Bravheit an! Die gibt doch keine Geschäftsfrau ab, im Gegenteil! Brav? Hm! Nur mit der Religion hat sie’s, sonst kümmert sie nichts! Was ich will und tu’, interessiert sie überhaupt nicht! Grad ist’s, als ob sie mit dem Herrgott und nicht mit mir verheiratet ist! Ist denn das noch ein Zusammenstand? Ich versteh’ das nicht!«
    Er hatte die Worte wehmütig herausgestoßen und schüttelte traurig den Kopf. Er atmete schwer und schwieg, und in dieses Schweigen hinein sagte der Lorenz: »Mein Gott, Maxl, jeder Mensch ist doch nicht gleich! Was läßt sich da sagen? Beim Heimrath ist es anders gewesen als bei uns. Die haben Glauben und Beten von Kind auf gelernt, und das ist der Resl verblieben.«
    »Gelernt?« fiel der Maxl fast wütend ein, »den Glauben lernen! Unsinn! Eine Betschwester taugt doch nicht zur Geschäftsfrau, zum Teufel! Wenn meine Kinder auch so werden, das ist ja rein zum Grausen!« Er hielt inne und stützte seinen Kopf. Dann sagte er nachdenklich: »Jetzt versteh’ ich den Kastenjakl selig erst … Jaja, es stimmt, es stimmt ganz und gar, was er aufgeschrieben hat …« Und er erwähnte die hinterlassenen Schriftschaften des Verstorbenen.
    Der Lorenz blieb ziemlich gleichgültig und brummte: »Ihr seid doch noch nicht lang verheiratet, Maxl! Mit der Zeit wird sich das alles schon einrenken … Die Resl läßt sich sicher richten.«
    »Richten? Jaja«, meinte der Maxl, »jaja, schließlich und endlich schon. Aber was das für einen Kampf kosten wird, mein Lieber! Graue Haar’ kann ich dabei kriegen!«
    Und wieder fing er von Kastenjakls Aufzeichnungen an. Als er aber merkte, daß das den Bruder nicht interessierte, schloß er mit den dunklen Worten: »Das Katholische, mein Lieber, das ist nicht umzubringen. Das bringt eher uns um. Man kann ihm nicht an!« Der Lorenz schien diese Andeutung nicht zu verstehen. Er gähnte, stand auf und sagte nur noch: »Wenn einmal Kinder da sind, Maxl, wird die Resl auch anders. Gute Nacht, Maxl!« Er tappte aus der Stube. Der Maxl saß noch lange da und grübelte in sich hinein. In der Backstube arbeitete der Geselle schon.
    Nach allem, was sich darüber erfragen ließ, beschäftigte sich der Maxl in jener kritischen Zeit sehr eingehend mit der Sichtung des schriftlichen Nachlasses vom Kastenjakl; denn der Stoß Papiere, welchen er beim Tode des Onkels aus Aufkirchen heimgebracht hatte, bestand aus einem unordentlichen Durcheinander von losen, nicht numerierten Blättern, auf beiden Seiten dicht beschrieben, aber schwer leserlich durch die vielen flüchtigen, oft unverständlichen Einschaltungen und Verbesserungen zwischen den engen Zeilen. Es scheint, daß diese Lektüre den Maxl tief erregt hat, ja, daß er vieles davon nie wieder vergessen konnte, denn übereinstimmend bezeugten insbesondere seine Schwester Kathl wie auch die Resl noch nach Jahren und Jahrzehnten, daß er die Papiere zuweilen tagelang studierte und immer wieder darauf zu reden kam. Auch die Kinder, die ihm die Resl schenkte, erfuhren aus seinem Munde noch viel davon. Die geweckteren davon lasen viele der verworrenen Aufzeichnungen, und ihr Vater versuchte ihnen manches auf seine Weise zu erklären. Leider aber sind diese merkwürdigen Schriftschaften dann doch verlorengegangen, und was sich noch

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