Das Leben meiner Mutter (German Edition)
auffinden ließ, stammte nicht mehr von Kastenjakls Hand. Unschwer erkannte man, daß es sich um Abschriften handelte, die der Maxl angefertigt hatte. Viele Umstände der Ungunst trugen schuld daran, daß – wenn man so sagen darf – das Testament des Kastenjakls nicht erhalten geblieben ist. Nun nämlich, nachdem der Maxl durch seine Heirat zu beträchtlichem Bargeld gekommen war, fing er heftig zu bauen an. Das erste war ein regelrechter Laden auf der Straßenseite des Hauses, das zweite eine Erweiterung desselben und die Einrichtung einer Krämerei, schließlich baute er das zerfallene Wäscherhäusl zu einem Warenmagazin mit kleiner Werkstätte für den Lorenz um, dazu kam eine Kammer und eine winzige Küche zu ebener Erde, welche die Kathl bezog. All diese kostspieligen Unternehmungen verursachten harte Kämpfe mit der ängstlichen Resl, die sich – als sie sah, wie ihr Mann scheinbar unverantwortlich das ganze Geld dafür ausgab – schon am Rande des Verderbens, am sicheren Bettelstab sah. Sie stritt freilich nicht mit ihrem Mann, sie weinte und klagte nur und wurde ganz hilflos, wenn der Maxl ihr etwas erklären wollte. Darüber geriet er in einen solchen Zorn, daß er hemmungslos fluchte und schimpfte. Schon durch diese vielen An- und Umbauten kam allerhand beim Graf in Unordnung. Es ging verloren oder zugrunde, was nicht dem unmittelbaren, täglichen Zweck diente. Und dann war noch etwas im Bäckerhause eigentümlich: mochte das Geschäft auch noch so aufblühen und sich erweitern, sonderbarerweise achtete niemand auf irgendeine Ordnung in schriftlichen Dingen und Angelegenheiten. Es gab keine Buchhaltung. Einnahmen und Ausgaben wurden nirgends registriert. Die Steuern wurden entrichtet auf Grund irgendwelcher Angaben und unter Vorlage der letzten Rechnungen. Diese Rechnungen waren stets – soweit sie noch nicht beglichen – auf einen Nagel an der Ladenwand gespießt und wurden dann zerrissen, die Lieferbücher für die verschiedenen Kundschaften lagen neben dem Geld und den Schlüsseln in der Schublade des Ladentisches. Wichtige Briefe, Verträge oder Baupläne konnte man ebensogut bei den Messern, Gabeln und Löffeln in einem Fach des Küchenschrankes, im Schüsselrahmen oder droben im eingemauerten Kästchen der Ehekammer finden. Die Kinder kramten manchmal darin herum, oder die Resl räumte diese Fächer aus und warf manches, was ihr überflüssig erschien, einfach weg.
Derjenige, der als Nachkomme des Max Graf und der Therese Heimrath in diesen Seiten die vielverschlungene Geschichte dieser beiden Geschlechter gewissenhaft und – so gut es ihm gelingen mag – der Wahrheit gemäß wiederzugeben versucht, hat als Knabe Kastenjakls Aufzeichnungen und seines Vaters Abschriften noch zum größten Teil gelesen. Er las dieses sonderbare Vermächtnis mit erregten Sinnen, und einiges davon ist ihm so fest eingeprägt, daß er es fast wortwörtlich wiederholen kann. War es doch gleichsam das Allererste, was sein Gemüt aufnahm und es wahrhaft erschauern ließ. Ganz gegenwärtig sind ihm noch heute die Anfangssätze des alten Sonderlings von der ehemaligen Maxhöhe, die also lauten:
»Ich mag es anschauen, wie ich will, ich mag es anfangen, wie ich will – ich hab’ einen Neid auf die Leute, die alles vergessen können. Bei mir ist’s grad das Gegenteil. Wenn ich nachsinniere über uns – die Jetzigen und die Früheren –, läuft inwendig bei mir das Gift über. Es läßt mich nicht aus. Es wird immer ärger, und oft ist’s so, daß ich jeden da herum und überall ebenso schinden möcht’, wie sie unser Geschlecht wegen nichts ausgesogen, geschunden, verkrüppelt und zerstückelt haben, solang es erinnerlich ist. Solcher Erinnerung nach, und wie ich’s ausgeforscht hab’, sind die ersten der Unsrigen tirolische Waldenser gewesen, ruhige, ordentliche Menschen mit gesundem Hirn und einem ernsten Glauben. Haben angehängt dem Glauben der ›Armen von Lyon‹, wo herkommen vom Arnold von Brescia und vom durch und durch ehrenhaften Geschäftsmann Peter Waldes anno 1170 oder 73. Es kann uns folgedessen jeder anschauen von den hundsmäßig Katholischen in der Aufkirchener Gegend, und wir könnten ihn faktisch fragen: wo kommst denn du her, du eingeseßner, muffiger Betbruder samt deinem großen Hof, deinem vielen Geld und Vieh, daß du den Kopf gar so hoch oben hast und auf uns herabschaust wie auf aussätziges Gesindel? – Vielleicht ist der erste von deiner Sippschaft, der aus einem
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