Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Konkurrenz war weit und breit. Der Haunersche Laden in Aufkirchen verlor seine Bedeutung ganz und gar. Von allen umliegenden Orten kamen die Leute nach Berg und holten das, was sie brauchten. Es war stets alles zu haben: Zucker, Kaffee, Salz, Reis und Grieß, Petroleum und Kerzen, aber auch Bänder und Zwirn, Strick- und Nähnadeln, Wolle und Faden. Immer reichhaltiger wurde die Ware. Die Resl sah ein, ihr Maxl hatte recht gehabt. Ihre dreitausend Gulden waren nicht verloren. Sie kamen zwar nur im Kleinen, aber doch vermehrt, wieder zurück ins Haus. Und so wurden auch die ersten Kinder geboren: der Max, der Joseph, welcher aber schon nach acht Tagen starb, die Theres und der Eugen. Seltsamerweise trauerte der Vater nicht im mindesten über den Tod seines zweiten Sohnes. Gegen seinen Willen hatte die Resl im Verein mit der Heimrathin es durchgesetzt, daß er Joseph heißen sollte, ein Name aus der Aufhauser Verwandtschaft. Er sah auch, soweit sich das überhaupt feststellen ließ, den Heimrathischen ähnlich. Die junge Mutter hatte bis zum Tage der Geburt trotz allen Dawiderredens schwer gearbeitet und war plötzlich von Wehen überfallen worden. Ob sie wollte oder nicht, sie mußte wegen des ungewöhnlichen Blutverlustes einige Wochen liegen. Der Starnberger Doktor kam öftere Male. Rotwein mußte die geschwächte Wöchnerin trinken. Die alte Stellmacherin pflegte sie, und der Maxl ließ es an nichts fehlen.
Einmal sagte er gutmütig spöttelnd zu ihr: »Aber das darf nicht mehr passieren, Resl! So kann’s gehen, wenn du mir nicht folgst. Joseph? Sepp! Das hast du dir eingebildet! Und jetzt wär’s beinahe dein Tod gewesen!« Er lächelte, und auch sie verzog ihren Mund ein wenig. Seither aber suchte der Maxl stets Namen für seine Kinder, die in dieser Gegend wenig üblich waren. Einen Eugen zum Beispiel gab es seit Menschengedenken in der Aufkirchener Pfarrei nicht.
Trotz gelegentlicher Reibereien nahm das Verheiratetsein der Bäckerleute ein gewohntes Gesicht an. »Ist doch ein guter Zusammenstand«, hieß es. Der Maxl regierte, und die Resl rackerte. Ihre grenzenlose Gutmütigkeit machte sie alsbald bei allen Nachbarn beliebt. Man fand schnell heraus, daß sie es mit dem Rechnen beim Verkauf nicht so genau nahm wie der Maxl und für schlau vorgebrachte Klagen ein sehr empfängliches Ohr hatte. Sie wurde – wie der Maxl sich ausdrückte – nie eine »echte, seriöse Geschäftsfrau« und blieb bäuerlich einfach, wie sie seit jeher gewesen war. Er brauchte lange, bis er sie wenigstens dazu brachte, daß sie im Sommer nicht mehr barfuß ging. Irgendwelche Eitelkeiten waren ihr völlig fremd, und als ihr der Maxl, in der Absicht, ihr eine Freude zu machen, bei der Kathl etliche Kleider nähen ließ, fand sie das überflüssig und verschwenderisch. Hatte sie denn nicht immer noch ihre unverwüstlichen Spenzer und Röcke von daheim und für feiertags und Festlichkeiten Mieder und Silbergeschnür? Die neuen Kleider trug sie höchst selten und fast verschämt. Sie fühlte sich höchst unbehaglich darin. Die Rüschen und paspelierten Verzierungen daran waren ihr zuwider, und eines Tages trennte sie all diesen Tand ab. Sauber, zweckmäßig und derb mußte das sein, was sie zur Arbeit trug, und alles andere schien ihr unsolid und unbrauchbar. Der Maxl und die Kathl versuchten sie wohlmeinend davon zu überzeugen, daß eine Geschäftsfrau wie sie etwas auf ihre Erscheinung geben müsse. Es machte aber den Eindruck, als fände sie diese Belehrung demütigend, und wahrscheinlich glaubte sie, man mißachte sie und fände sie zu wenig nobel. Sie sagte nichts davon und meinte nur bezüglich der Kleider, sie könne doch nicht am hellichten Tage wie ein fastnachtsmäßig aufgeputzter »Maschkerer« gehen. Ungebraucht hingen die Kleider im Schrank der Ehekammer.
»Sie ist noch wie aus der ganz alten Zeit«, klagte der Maxl verdrießlich bei der Kathl, und die nickte. Sie seufzte ein wenig, sah ihrem Bruder in die Augen und erwiderte tröstend: »Aber sie ist eine grundgute Person!« Die Kathl nämlich wohnte seit der Fertigstellung des Wäscherhäusls im Hof hinten in der schmalen Stube und winzigen Küche zu ebener Erde und bekam, da sie nunmehr selbständig hauste, manches von der Gutmütigkeit der Resl zu spüren. Oft schenkte ihr die Bäckerin insgeheim Semmeln, Brot und andere notwendige Waren aus dem Laden. Ihr Kind, ein Mädchen namens Marie, war schnell herangewachsen, lebte im Bäckerhaus und trug schon Brot zu
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