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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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frommgläubige Katholiken, sind Lutherische und Reformierte gewesen, wie man’s verlangt hat, und haben gewechselt das Glaubensgesicht wie ein Hemmerd, wo man, weil Flöh’ drinnen sind, ablegt. Wir haben geschwindelt und gelogen und gedienert und gefeilscht, weil’s immer um ein Haar ums Leben gegangen ist, aber wir haben zum Ende ganz wirklich den Krimskrams von einem Herrgott und einer Seligkeit ad acta gelegt. War immer zu schlechtem Nutzen für einen jeden von uns, aber vergessen haben wir nichts, und einmal soll’s einer vielhundertmal vergelten, weil sie uns so ausgebrannt haben inwendig …«
    Im nachfolgenden war dann die Rede von Kastenjakls Plänen, von seiner Stellung zu den Menschen und zur Welt. Er rechtfertigte gleichsam alles Üble, das er getan hatte, als habe es sich dabei stets um eine unumgängliche Notwendigkeit gehandelt, und wer zu lesen verstand, dem fiel auf, mit welcher Freude der alte Mann jene Fälle wiedergab, die gegen die religiösen und moralischen Ansichten hierzulande verstießen. Mit einem Zynismus ohnegleichen, wie etwa ein Jäger, der sich freut über das erlegte Wild, verbreitete er sich zum Beispiel über seine einstmalige Heirat, indem er sagte, er habe das »moderige, bigotte Gezücht« der Hupfauers »weggelöscht« und wenigstens das, was sie zurückgelassen, nämlich ihr Geld, richtig angewendet.
    »Schau ich’s an, wie ich will«, hieß eine Stelle, die sich mit dem Maxl befaßte, »dann kommt es mir vor, als wär’ der Maxl schon der Rechte. Er wird weiter kommen als ich, und zu hoffen ist, daß er irgendein stockiges, christkatholisches Weibsbild mit Geld hinters Licht führt und einfangt, das ihm Kinder bringt. Macht’s er nicht ganz, so wird’s eines der Kinder zu End’ bringen. Nichts wär’ schöner! Gewiß ist, daß wir in unserer allerersten Vorderzeit engelsgut gewesen sind und gewaltmäßig zu Teufeln gemacht worden sind. Sie sollen’s also spüren, was ein Teufel ist …« Wenige Zeilen darnach kam jener Schlußsatz, den der Maxl bei Kastenjakls Tod auf dem Blatt im Aufkirchener Dachstübchen gelesen hatte.
    Kein Wunder also, daß diese Niederschriften ihn bis ins Innerste ergriffen, daß sie ihn erschreckten und ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen wollten, seit er mit der Resl zusammenlebte. Worüber erschrickt denn ein Mensch, wenn er etwas liest, was ihn angeht, und das er zunächst nur rein des Interesses halber zu lesen vermeint? Er erschrickt, wenn er auf etwas stößt, das plötzlich mit zynischer Offenheit ein peinliches Geheimnis seiner Seele bloßlegt und wirksam macht. Mit dem Glauben ist’s ähnlich wie mit der Liebe. Zuerst hängt der Mensch mit der ganzen Inbrunst seines Inneren daran. Er glaubt und er liebt, als sei er nur dafür geschaffen, als gäbe es gar nichts anderes auf der Welt als diese fortwährende hochgestimmte Verbundenheit mit dem Objekte seines Glaubens und seiner Liebe. Dann kommt ein Schlag der Enttäuschung nach dem anderen. Die ersten Schläge sind schmerzlich, die letzten vernichtend.
    Jetzt wurde dem Maxl gewiß, warum er und die Seinen das Glück nicht haben konnten, an einen Gott fest und zuversichtlich zu glauben, und noch grauenhafter stieß er auf die Ursache, weswegen alle Grafs unfähig waren, einen Menschen zu lieben, obgleich er sich oft und oft danach gesehnt hatte. Nun sah er sein junges Weib anders an als früher, und stets, wenn er ihrer unwandelbaren Frömmigkeit begegnete, sprangen ihn gleichsam die merkwürdigen Botschaften seines toten Onkels an wie unsichtbare, reißende Tiere, die seine unsicher gewordene, mit Bitterkeit erfüllte Seele immer von neuem wund bissen. Im Lauf der Zeit versteifte sich dieser innere Zustand bei ihm derart, daß er – ohne daß er’s wollte und ohne daß er sich dessen bewußt wurde – in allem einen stummen Widerstand der Resl witterte und stets gerade das Gegenteil von dem tat, was sie erhoffte oder zaghaft wollte. Die Resl ertrug dies alles mit der ihr eigenen, wehrlosen Geduld.
    Der Maxl redete nie über diese Dinge mit ihr. Sie hätte auch nichts davon verstanden. In ihr wirkte etwas wie eine unverbrauchte Urkraft, die die Grafs längst verloren hatten. Die schien alles zu überdauern.
    So wuchs das Bäckerhaus ins Hohe und ins Breite. Die Bäckerei und die Krämerei – gegen deren Einrichtung sich die Resl noch ängstlich gesträubt hatte – nahmen einen so unerwarteten, vielversprechenden Aufschwung, daß die Wohlhäbigkeit gesichert war. Und keine

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