Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Petroleumlampe an. Dabei zitterten seine Hände. –
Dieses elfte von uns Kindern wurde nur etliche Monate alt. Es hatte schon kurz nach der Taufe zu kränkeln angefangen. Es hieß Maria, und nun, nach einer Woche, starb es. Vaters Schwester, die Kathl, nähte ein winziges weißes Spitzenhemdchen. Die Leichenfrau und sie machten die kleine Leiche zurecht. Wir schauten den beiden zu, aber es graute uns davor.
»Jaja, das Marei kommt jetzt in den Himmel! Drum machen wir es so schön. Da schauts!« sagte die Leichenfrau lächelnd und hob das starre, leblose Ding aus dem Sarg. Wie eine Puppe sah es aus. Wir glotzten benommen und wichen zurück.
»Geh! So was tut man doch nicht!« rief die Kathl, wütend über die Leichenfrau.
Da rannten wir erschrocken auf und davon und ließen uns in der Kuchl nicht mehr blicken. Nur manchmal drückten wir draußen unsere Gesichter scheu an die Fensterscheiben.
Als die Leichenfrau mit dem kleinen weißen Sarg unter dem Arm aus der Kuchl ging, machte ihr die »alte Resl« eine Faust nach. Der Zwerg nämlich konnte aus irgendeinem unaufgeklärten Grund alles, was mit dem Tod zusammenhing, nicht leiden. Särge und schwarzgekleidete Menschen waren ihm zuwider, und das Wort »sterben« machte ihn wütend. Da er aber ziemlich ungelenk war, hatte er die ganze Zeit in der Kuchl zubringen müssen. Noch lang, nachdem der Vater, die Kathl mit ihren zwei Kindern und unsere älteren Geschwister fortgegangen waren, stieß die »alte Resl« unverständliche, schimpfende Laute aus sich heraus und gestikulierte heftig mit ihren kurzen, dicken Armen. Wir Jüngsten – Anna und ich – waren daheimgelassen worden und wichen nicht von ihrer Seite. Wir gingen nicht zu unserer kranken Mutter hinauf und wollten überhaupt nicht an sie denken. Wir empfanden wohl ein stumpfes Mitleid, doch das scheue Grauen überwog. Wir fürchteten uns vor der Stille und stachelten die »alte Resl« immer wieder an, indem wir ihr Geplapper nachahmten. Das gefiel ihr stets. Sie polterte derart, daß sie ganz außer Atem kam, hielt erschöpft inne, schaute uns mit ihren flachen, wässerigen Froschaugen an und lachte ein wenig. Das erleichterte uns.
Später, als alle heimkamen, fiel es dem Vater ein, grade uns zwei Kleinsten zur Mutter hinaufzunehmen. Er begriff nicht, weshalb wir uns dagegen wehrten, und wurde leicht ärgerlich.
Unsere Mutter hatte, als wir in die Kammer kamen, die Augen geschlossen, den schwarzen, kleinperligen Rosenkranz um die Hände gewunden, ihre Lippen bewegten sich, und flüsternd betete sie. Eine starke Hitze ging von ihr aus. Ihr knochiges Gesicht war ungesund rot, und als sie uns anschaute, war in ihren Augen ein weher, zugleich unruhiger Glanz. Sie tastete mit ihren zerarbeiteten, heißen Händen nach uns. Wir wagten nicht auszuweichen, ließen es mit uns geschehen und starrten furchtsam auf sie. Nebenher fragte der Vater, wie es ihr ginge, erzählte vom Begräbnis, und wer dabeigewesen sei. Unsere Mutter schien das alles kaum zu hören und gab nur hin und wieder gleichgültige Antworten. Sie hatte uns Kinder zu sich ans Bett herangezogen, streichelte und liebkoste uns mit ungewohnter Zärtlichkeit. Sie bekam Tränen in die Augen, wischte sie aber immer wieder schnell weg, nach und nach wurde ihr Gesicht erlöster, und auch sie sagte etwas davon, daß das kleine Marei jetzt schon bei den Engeln im Himmel droben sei. Wir erinnerten uns an das leblose Ding mit dem weißen Spitzenhemdchen, und uns kamen die Engel und das In-den-Himmel-Kommen unheimlich, ja, grausig vor.
»Der Doktor wird bald kommen«, sagte der Vater. Unsere Mutter dagegen meinte, es sei ihr schon besser, der Doktor koste bloß einen Haufen Geld, und wenn es wem aufgesetzt sei, der müsse eben sterben, da helfe alles Kurieren nichts mehr. Wir hörten nur das Wort »sterben«.
Beim Hinausgehen aus der Kammer hob uns der Vater empor, damit wir die Finger in den am Türstock hängenden Weihwasserkessel stecken konnten. Halblaut und schmeichelnd sagte er: »So, jetzt macht ein schönes Kreuz.« Wir aber waren so verstört, daß wir nur die nassen Händchen auf unseren Gesichtern abwischten …
Der Doktor, ein großer, starker Mann mit einem zerzausten Vollbartgesicht und einer Brille, dem wir alle mit scheuer Ehrfurcht begegneten, sagte nach einigen Besuchen zum Vater: »Sarg- und Leichenkosten, Herr Graf, die brauchen Sie jetzt nicht mehr zu fürchten … Ich bin mit der Patientin zufrieden, nur, sie darf mir nicht wieder zu
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