Das Leben meiner Mutter (German Edition)
kriegen eine Revolution! Wart ab!« In seiner eigentümlichen Weise rannte er wieder hastig auf und ab und fuhr sich dabei immer in die Haare. »Hmhm! Hmhm!« Er schaute auf mich und fragte in ganz anderem Ton: »Warum hast du denn dann doch die Courage aufgebracht und dich allein, ganz allein gegen deine Offiziere und den Krieg gestellt? … Du hast’s sogar besser gemacht als tausend andere!«
Ich überlegte.
»Tja«, sagte ich, »wenn’s nicht pathetisch klingen tät’, möcht’ ich fast sagen, weil ich einfach fürs Leben war und nicht für den Tod!« Ich wurde plötzlich rot wie ein beschämtes Kind und setzte dazu: »Und ganz ehrlich gesagt, siehst du, ich hab’ mir, und nur mir allein, dabei auch ein bißchen bestätigen wollen, daß ich doch noch einen eigenen Willen hab’ …«
»Hm, du bist ein komischer Mensch. Dein Tolstoi, überhaupt die ganzen Bücher, die verderben dich ganz und gar!« schloß mein Freund.
Die schlecht beleuchteten nächtlichen Straßen waren menschenleer, als ich heim in mein Logierzimmer ging. Ein Besoffener schrie heiser: »Haut den Lu-hu-udendorff! Haut sie alle, die Preißn!«
Er klammerte sich torkelnd an einen Laternenpfahl und sackte immer wieder grölend zu Boden …
Es war schon hoher Sommer, da kam ich einmal in den Friseurladen zu Anna. Sie hatte ein ernstes Gesicht.
»Die Emma ist schwer krank«, sagte sie, »ich kann nicht vom Geschäft weg und fahr’ am Sonntag erst heim. Du hast doch Zeit jetzt, besuch sie doch!« In der brodelnden Hitze der Ereignisse hatte ich die Mutter und Emma fast vergessen.
»Sie haben sich jetzt sehr nett eingerichtet und kaufen jetzt das Kramerhaus. Der Maurus will auch sein Geld beisteuern, damit er weiß, wo er hin soll, wenn er vom Krieg heimkommt … Die Moni hat einen ganz groben, dummen Kerl geheiratet. Der mag sie und die Kinder nicht. Er hat, scheint’s, bloß ihr Haus und Geschäft wollen«, erzählte sie.
Tags darauf fuhr ich heim.
Das, was geschah, schien meinem Freund recht zu geben. Mitten in alle dumpfe, mürrische Unentschiedenheit hinein drangen die Alarmnachrichten von der Meuterei der deutschen Hochseeflotte. In Kiel hatten die Matrosen ihre Offiziere abgesetzt, rote Fahnen auf den Schiffen gehißt und revolutionäre Matrosenräte gebildet. Die Admiralität gewann doch wieder die Oberhand und ließ die Führer der Matrosen, Reichpietsch und Köbes, standrechtlich erschießen. Doch die Rebellion ging weiter und wirkte ansteckend auf die anderen Hafenstädte. Die Reichsregierung – schon wieder war ein neuer Kanzler da – schickte den Sozialdemokraten Gustav Noske als Vermittler nach Kiel.
Kurz vor meiner Heimfahrt suchte ich Georg noch einmal auf.
»Die Revolution marschiert!« schrie er mir schon an der Tür entgegen und war außer Rand und Band vor Freude. »Alle Macht den Räten! Genau wie Lenin in Rußland es macht!« Er schwang die Zeitung und sagte immerzu: »Na? Na? … Und was sagst du jetzt? … Stell dir vor – rote Fahnen in Deutschland! Revolution bei uns!«
Auch mich packte langsam die fiebernde Erregung. Immer wieder lasen wir die Nachrichten.
»Was? Und jetzt fährst du heim auf dein Dorf? Jetzt! … Mensch!« rief er fast vorwurfsvoll. Zaghaft schaute ich ihn an. Ich fuhr heim. Es war schon zu spät. Emma lag schon im Aufkirchner Leichenhaus.
Meine Mutter grüßte mich kurz und hob ihr verweintes Gesicht, als ich in die winzige Kuchl des Kramerhauses trat.
»Mein Gott, schrecklich! So schnell!« konnte ich nur herausbringen. Meine Glieder füllten sich mit bleierner Schwere. Etwas aus meinem Leben war weggelöscht, das ich nicht vermissen wollte. Mutter wischte sich die nassen Augen aus und hockte sich hin.
»So klar hat sie noch denken können, die Emma, so genau«, sagte sie mit gebrochener Stimme, und ihre schmerzlichen Züge wurden immer haltloser. »So standhaft, wie die gestorben ist! … Mutter, hat sie noch gesagt, Mutter, und spart beim Einkochen nicht wieder so mit dem Zucker, sonst verderben die ganzen Himbeeren wieder bis zum Winter … Ich bin ja nicht mehr da jetzt. Und grüßt mir noch alle, ja? Besonders den Oskar und die Nanndl! … Jetzt wird’s gleich aus sein, ich spür’s! Sie hat schneller geredet … Mutter, hat sie gesagt, und gräm dich nur ja nicht so wegen meiner! Plag dich nicht immer so! … Resl, sei recht gut zur Mutter, ja? … Und nachher hat sie auf einmal nasse Augen gekriegt und geschnauft hat sie nochmal und ›schad‹ hat sie
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