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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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gesagt, dann ist’s aus gewesen.« Sie brach in ein verzagtes Weinen aus und zerstoßen kam es aus ihr: »Hm, so gern hab’ ich sie gehabt, die Emma! So ein gutes Ding ist sie immer gewesen und immer so lustig … Wär’ besser ich gestorben wie sie! … Recht viel Rosen und Tagund Nachtschatten soll ich ihr aufs Grab pflanzen, hat sie sich gewünscht …« Jetzt verlor sie alle Kraft und weinte die letzte Träne aus sich heraus. Ich konnte nichts sagen und legte nur meine Hand auf die ihrige, die naß war vom Weinen. Die Kehle war mir zugeschnürt, und wie ein Stein lag’s auf meiner Brust.
    Ich stand auf und ging nach Aufkirchen.
    Die Glastür des Leichenhauses war verschlossen. Von vielen Blumen und frischen Kränzen bedeckt lag die aufgebahrte Tote im Sarg. Ihr blasses, abgemagertes, immer noch schönes Gesicht zeigte ein winziges, friedliches Lächeln. Groß und starr waren ihre dunklen, guten Augen. Mir kam alles unbegreiflich vor. Überwältigt drückte ich mein Gesicht an die Scheiben und weinte: »Emma! Emma! … Arme Emma!« Wie ein Kind sagte ich diese Worte immer wieder, ganz hilflos.
    Am anderen Tag begruben wir sie. Die Kirche war voll. Alle waren gekommen, die Emma gekannt hatten. Hernach, um unser Grab, standen die Leute Kopf an Kopf. Die Schulkameradinnen, mit denen sie ständig im Kirchenchor gesungen hatte, sangen der Toten ein frommes deutsches Lied, als man den Sarg in die Erde senkte.
    Später, als alle Verwandten und Bekannten bei Bier und dünnem Malzkaffee im Garten der Klostermaier-Wirtschaft beisammen saßen, wußte jeder etwas Rühmendes über die Emma zu erzählen. Sie hatte wirklich keinen Feind gehabt, und alle hatten sie auf ihre Weise geliebt.
    »Ich bin ein altes Weib, und sie hat so gern gelebt«, sagte Mutter öfter. »Hmhm, wär’ wirklich besser gewesen, ich wär’ gestorben … Nichts Schönes erleb’ ich ja doch nicht mehr!« Ihre Schwestern, unsere bäuerlichen Basen aus Aufhausen, Deining und Beuerberg nickten und zerdrückten hin und wieder eine Träne. Die Roßkopfin war auch da. Sie redete viel, und ihre etwas grelle, klanglose Stimme drang überall durch. Mit gemachtem teilnehmenden Schmerz wiederholte sie von Zeit zu Zeit: »Ja, sie ist ein sehr sauberes Ding gewesen, die Emma! So fein und zart ist sie gewesen … Hmhm, Bäckermutter, uns laßt er alt werden, der Herrgott, und so junge Dinger müssen hinsterben, hmhm.«
    Mir fiel der Quasterl ein, und ich warf einen bösen Blick auf sie.
    »Was machst du denn eigentlich immer?« fragte Theres mich zwischenhinein.
    »Nichts … Wirklich nichts!« antwortete ich in einem Anflug des Mißbehagens über mich selbst, und das entsprach – wenn ich’s genau bedachte – vollkommen der Wahrheit.
    »Hm! Nett, so was! Nett!« warf Theres etwas beleidigt hin und wandte sich den anderen zu. Mir war elend zumute. Ich wußte in diesem Augenblick wahrhaftig nur das eine, daß ich losgerissen war von diesem haltbaren Frieden und sinnlos in einer wirren, lauten Welt herumtrieb ohne rechten Sinn und Zweck.
    Herumtrieb! … Treiben lassen! Das klingt so farblos. Für mich spielte der Sinn dieser Worte eine verheerende Rolle. Alles, was mit mir geschah, erspürte wohl mein dumpfer Instinkt, doch selten sprach mein Wille mit. Einmal war mir ein Satzfetzen eingefallen: »Dies ist furchtbar, daß wir alle, wie wir sind, geschehn«, und ich machte ein Gedicht daraus. Mir kam es wirklich zuweilen vor, als würde ich einfach »geschehen«. Ich hatte eines Tages in jener bewegten Zeit in einem Anflug von jähem Mitleid eine kranke, häßliche, weit ältere Frau geheiratet. Ich liebte sie nicht. Zeitweise empfand ich quälenden Ekel vor ihr. Sie gebar ein Kind, und ich lief ihr davon, um wieder mein eigenes, zerfahrenes Leben zu führen.
    »Was macht denn Lina?« erkundigte sich meine Mutter über diese Frau, als wir von Aufkirchen heimwärts gingen. Alles, was geschehen war, widerstrebte ihr, aber sie nahm es hin wie ein Mißgeschick oder ein unvermeidliches Unglück, gegen das der Mensch nicht aufkam. Auch sie konnte mit Lina nichts anfangen, aber jetzt war sie eben meine Frau, fertig.
    »Ich glaub’, es wär’ besser, wenn sie mir dein Kind geben tät’«, redete Mutter im Dahingehen weiter, »ich hab’ ja jetzt Zeit und kann es aufziehen.« Ich nickte wortlos, und wir schauten beide in die nachmittägig-dunstige Sommerluft hinein …
    Die Versammlungen des Kurt-Eisner-Kreises wurden jetzt immer erregter, obgleich man

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