Das Leben meiner Mutter (German Edition)
her! … Ich hab’ mehr Kraft gehabt wie dein kleins bißl Bäcker-Maxl! … Ich hätt’ dir fünfundzwanzig Kinder hergemacht, daß du grad so g’schaut hätt’st, und keins wär’ g’storben!«
»Ich hab’ mir schon an den meinen genug gehabt, du Tropf, du!« gab sie ihm belustigt hinaus. »Gar so stierige Mannsbilder, die taugen meistens nicht zu der Arbeit … Geh zu!« Das brachte den Vetter erst recht in Rage, und unsere Mutter lachte vergnüglich. Er fing von seinen körperlichen Vorzügen zu reden an, und daß er oft fünf und sechs Stunden hintereinander akkordgemäht habe, aber abgegangen wär’ ihm nichts, wenn ein Weibsbild noch was wollen hätte von ihm. Für empfindlichere Naturen war so eine Unterhaltung nichts, Mutter und Hans aber fanden es kreuzgemütlich. Bald lachten sie gelassen, dann wieder sich schüttelnd.
»Herrgott, Hans, bist dir du ein Tropf!« lobte Mutter dann den Vetter, und die Augen gingen ihr über vor Lachen. Nur vor einem hütete sie sich, den guten Vetter über Nacht zu behalten, denn er schiß ins Bett dabei. Alle Verwandten wußten ein Lied davon zu singen. In der Frühe stand er unangerührt da und sagte: »Herrgott, Basei, gell ich hab’s Häusl nicht gefunden … Es ist mir zu schnell auskommen.« Ruhig ließ er sich zusammenschimpfen, und beim Abschied sagte er ganz gemütlich: »Jetzt b’hüt dich Gott, Basei! Ich bin halt ein alter Saubär, weißt du!«
Um dieselbige Zeit machte ein stigmatisiertes Bauernmädchen, die »Theres von Konnersreuth« im ganzen Lande großes Aufsehen. Sie hatte Erscheinungen, lag wochenlang im Bett, aß nichts, sprach einfältig mit Jesus Christus und der heiligen Maria, und während dieses Trancezustandes bluteten ihr Gesicht und Hände. Kirchliche Behörden, Ärzte und Wissenschaftler befaßten sich mit dem Fall, die Zeitungen brachten Artikel, und scharenweise pilgerten Neugierige und Fromme nach Konnersreuth. Auch unser Weidacher Vetter machte sich auf den Weg. Eine wochenlange Wanderschaft wurde daraus, und endlich kam er wieder zu uns, um unserer Mutter von den Wundern zu erzählen.
»Drinnen liegen tut s’ und hat ein weißes Hemd an«, berichtete er weit ausholend, »die Augen hat sie verdreht, und nachher kommt ihr das Blut wie bei unserm Herrn Jesus Christus … Und grad Leut’ kommen in einem fort, grad Leut’ … Ich hab’ mir denkt, wenn die was verlangen täten, da könnten s’ ein schönes Geld verdienen! Ganze Massen Leut’ kommen … Laß dir sagen, Resl, wer das einmal g’sehn hat, der kriegt einen ganz festen Glauben … Mir ist’s ganz unheimlich dabei worden.« Unsere Mutter war ganz Ohr. Man sah ihr an, daß sie sich alles sehr deutlich vorstellte, denn auch sie erschauerte leicht. Das Unerklärliche fürchtete sie. »So, Resl, für das, daß ich alles so schön erzählt hab’, darfst du mir auch schon eine Maß Bier geben«, erinnerte der Vetter. »Und Hunger hab’ ich auch von dem Marsch.« Schweigend stellte ihm unsere Mutter zu essen hin und ging ums Bier zum Bichler. Auf der Dorfstraße lief ihr die Annamarie entgegen, die von der Post-Station kam. Einen Brief schwingend schrie sie: »Großmutter, der ist von der Tante aus Amerika!«
»So … Ja, ich komm gleich! Der Maurus soll ihn nur lesen«, antwortete die Mutter und ging geschwinder. Als sie mit dem schäumenden Bierkrug zurückkam, stand der Maurus im Türrahmen und sagte: »Mutter, die Nanndl kommt … Vielleicht in vierzehn Tagen oder drei Wochen ist sie schon da.« Er reichte ihr ein Foto. Mutter stellte dem Vetter das Bier hin, ließ sich auf einen Stuhl sinken, setzte ihre Brille auf und betrachtete das Bild.
Nein, das war ihre Jüngste, die Nanndl, nicht mehr. Eine kunstvoll frisierte, etwas puppenhaft aussehende Dame schaute ihr aus dem Bild entgegen.
»So verändert«, murmelte Mutter, »hm, ich kenn’ sie gar nimmer.« Sie gab sich einen Ruck, sagte zum langsam kauenden Vetter: »Ja, Hans, ich hab’ jetzt nimmer Zeit für dich … Ich muß jetzt gleich die gute Kammer herrichten.«
Auch uns in München hatte Anna geschrieben. Da meine Frau keine Zeit hatte, ging ich an einem hellen Sommertag allein zum Bahnhof. Eine auffallend elegante Dame stieg aus dem Zug. Ich stutzte. Da lachte sie mich an, und ich erkannte meine jüngste Schwester. Im Trubel und Geräusch des Bahnhofs verstand ich kaum, was sie sagte. Erst als wir auf die Straße kamen, merkte ich, daß sie englisch sprach und offenbar ihre Muttersprache
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